EditRegion3
Eine Idee ging verloren.
Die Kulturmaschine als Museum.
Zum Umbau des Centre Pompidou

Helga Fassbinder


In: Bauwelt 4/2000, S. 31


Seit dem 1. Januar 2000 ist das renovierte und umgebaute Centre Pompidou neu eröffnet, innerhalb der ersten beiden Tage zählte es 80.000 Besucher. Tout le monde est enthousiaste. Bleibt der Bauwelt, das interessierte deutsche Fachpublikum mit Fotos und Plänen zu versehen. Nichts weiter? Eine kritische Bemerkung gegen den Strom der Begeisterung.

 

Seltene Male kommen Bauwerke zustande, die in allen ihren Dimensionen: ihrer Gestaltung, ihrer Konstruktion und ihrem Nutzungskonzept aus einem Guss sind und soweit ihrer Zeit vorauseilen, dass noch nach Jahrzehnten Renovierungen und Umbauten, die im wesentlichen ältere Vorstellungen verfolgen, allgemein als 'Verbesserung' bejubelt werden.
Ein solches Bauwerk ist das Centre Pompidou: bei seiner Fertigstellung die perfekte Maschine für ein Zentrum der Kunst des zwanzigsten Jahrhundert, das sich so nachdrücklich von den gängigen Konzepten öffentlicher Kunstsammlung abhob, dass die Bezeichnung Museum unpassend gewesen wäre. Entsprechend wurde es bei seiner Eröffnung durch die Sprachrohre des bürgerlichen Kunst- und Architekturbetriebs mit vernichtender Kritik empfangen. Erst unter dem Eindruck stetiger gewaltiger Besucherzahlen - statt der erwarteten 5.000 kamen täglich 25.000 Menschen - mendelte sich die professionelle Resonanz im Laufe der Jahre hin zur durchgängigen Bejahung. Eine Bejahung, die wie sich nun zeigt, freilich nur dem Formenkanon des Gebäudes gegolten haben dürfte, wohl kaum seinem Nutzungskonzept.

Das Konzept des Centre Pompidou war das eines Transitorium gewesen: es wollte die Trennung zwischen Künsten und den Ereignissen aufheben. Es wollte Malerei, Skulptur, Musik, Film, Gebrauchsgegenständen und Bibliothek zu einer Interferenz führen; es wollte vielschichtige Übergänge zwischen dem städtische Leben und ansonsten separierten Orten des Kunstgenusses eröffnen; und es wollte mit seiner Lage neben einem City-Endpunkt von Vorortzügen Ort der kulturellen Verknüpfung zwischen Suburbia und City sein. Seine großzügige Erdgeschosszone, seine Bibliothek und seine plexiverglasten Rolltreppen waren Räume öffentlicher Nutzung, ohne Eintrittsgeld zugänglich. In den Etagen der wechselnden und der permanenten Ausstellungen war eine vollständige bauliche Flexibilität realisiert - technisch waren buchstäblich alle denkbaren räumlichen Anpassungen möglich gemacht. Das Bauwerk und sein Konzept - sie waren aus einem Guss.

Die vergangenen beiden Jahrzehnte haben das Bauwerk und sein Konzept auseinanderdividiert. Das Konzept passte immer weniger in eine Zeit des rundum kommerzialisierten Kulturbetriebs, aber ironischerweise es nicht allein am veränderten gesellschaftlichen Klima zugrunde, sondern zu einem gut Teil auch am Erfolg seines architektonischen Ausdrucks. Damit meine ich nicht die Notwendigkeit einer gründlichen bautechnischen Renovierung. Die aussen ungeschützte Stahlkonstruktion war anfällig. Sie bedurfte nach zwei Jahrzehnten der Renovierung. Doch dabei ist es nicht geblieben.

Das hochherzige Konzept sozialkultureller Integration von suburbia und city, an das zuletzt nur noch ein paar idealistische Mitarbeiter der ersten Stunde glaubten, hatte sich - so könnte man bestenfalls sagen - nach draussen auf den Vorplatz verlagert, wo Gaugler und Straßensänger ihr Publikum unterhielten. Im Gebäude selbst war es längst erstickt an dessen eigener Attraktivität. Die tägliche Besucherschwemme hatte dazu geführt, dass sich eine drastische Zugangsbeschränkung der öffentlichen Halle und der Rolltreppen auch ohne Eintrittsgeld herstellte: vor den Eingängen gab es täglich endlose Warteschlangen. Und nicht allein die Besucher der Ausstellungen warteten, auch die viel zu vielen Besucher der exzellenten Handbibliothek mussten stundenlang geduldig um Einlass anstehen.

Nun nach der Renovierung ist die Eingangshalle privatisiert, ebenso wie es die gläsernen Rollenstreppen sind - die Pariser haben ihre letzte Möglichkeit verloren, gratis auf die Dächer der Stadt zu blicken. Der Bereich der Bibliothek ist erweitert. Die Fläche der permanenten Ausstellung, in denen das Centre die Schätze seiner immensen Sammlung zeigen kann, ist vergrössert. Die Flexibilität der Stellwände, die wegen der hohen Umbaukosten so gut wie nie genutzt worden war, ist einer fest eingebauten Saalabfolge gewichen. Die Idee der Interferenz verschiedener Kunstgattungen und Epochen ist ersetzt durch eine gediegene kunstgeschichtliche Gliederung. Perfekt und schön arrangiert. Aber gegen den Geist der Architektur, die einmal vollkommene Abspiegelung eines kulturpolitischen Programms war, in dem Kunst nicht musealer Betrachtungsgegenstand, sondern Anstoss zu Aktion und lebendiger Auseinandersetzung mit der Gegenwart war.

Zwanzig Jahre nach seiner Geburt ist das Centre Pompidou nun doch unter allgemeinem Jubel zu einem normalen Museum geworden. Seine Architektur ist zurechtgestutzt. Sie ist nicht einfach nur um eine beliebige Nutzungsidee verkürzt. Sie ist herabgestuft zu dem, was Museumsarchitektur heute nur allzu oft ausmacht: zum plakativen Emblem im Konkurrenzkampf um Besucherzahlen.