Dieses Buch umfasst 24 Gespräche aus dem Frühjahr 1991 mit Frauen, die in der vormaligen DDR an verschiedenen Stellen und mit unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung im Bau- und Planungswesen tätig waren. Diese Gespräche hatten oft viele Stunden gedauert und füllten eine Vielzahl von Tonbändern. Daher begann danach eine mühsame Zeit des Abschreibens der Bänder, des Kürzens der Texte, der Ueberprüfung der gekürzten Fassungen mit den Gesprächspartnerinnen und der Redigierung der definitiv gewählten Auszüge. Schliesslich wurde eine Auswahl von originalen Textstellen aus Zeitschriften, Gesetzen, Verordnungen und von Fotos der beteiligten Frauen hinzugefügt, um die Gesprächstexte in einem weiteren Kontext anschaulich zu machen.
Zusammenfassung:
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in der alten DDR und der BRD waren sehr unterschiedlich. In einem Bereich war diese Unterschiedlichkeit besonders signifikant: im Bauwesen und Städtebau. Planung, Konstruktion, Bau war in der alten DDR nicht mehr eine ausschließliche Domäne der Männer. Hier waren die Frauen in einem viel breiteren beruflichen Spektrum vertreten als dies in der westdeutschen Realität geläufig ist. Während sie dort nur im Architekturbereich in größerer Zahl vertreten sind - denn Architektur gilt, vielleicht wegen ihrer Nähe zum Wohnen und der Innenarchitektur, als ein für Frauen noch einigermaßen naheliegender Bereich, waren sie in der DDR in allen Sparten des Planens und Bauens tätig, selbst im Tiefbau und in der Montage - d.h. auch in Bereiche, die westdeutschen Frauen z.T. aufgrund von Arbeitsschutzbestimmungen überhaupt nicht zugänglich sind.
Nach der Wiedervereinigung hätte es nahe gelegen, daß das Spektrum möglicher Tätigkeiten von Frauen nun auch in den alten Bundesländern eine Verbreiterung erführe. Es hätte bedeuten können, daß das Vorleben eines Selbstverständnisses als Ingenieurinnen und Facharbeiterinnen in einem traditionellen Männerbereich einen Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt des Bauwesens leistete. Das Bauwesen hätte so gesehen, zu einem gemeinsamen Projekt der Ko-Produktion der Geschlechter werden können.
Wie wir heute wissen, ist das nicht geschehen. Die Interviews in diesem Band entstanden im ersten Halbjahr 1991, in einer Zeit, zu der die Situation noch offener erschien. Die Einschätzungen in den Interviews enthalten deshalb teilweise Innensichten des alten und Mutmaßungen über das "noch ältere" (Kuhrig) System. Gereiht nach fallendem Geburtsjahrgang wird die Wahrnehmung der beruflichen Identität von Frauen im Bauwesen quasi exemplarisch rekonstruiert.
Die Reflektionen der Fachfrauen werden ergänzt durch einige Gespräche mit Frauen, die von einer anderen disziplinären Warte aus die Tätigkeit von Frauen im Bau- und Planungsbereich beobachtet und durch ihre Beteiligung an den Rahmensetzungen dieses Sektors mit beeinflußt haben. Auch hier wird das Spannungsfeld zwischen Intention der Emanzipation von Frauen in einer neuen Gesellschaft und der gewissermaßen 'technischer' Umsetzung in ein angepaßtes Regelwerk eines Produktionssektors spürbar.
Die Publikation vermittelt in vielen Gesprächen einen Ausschnitt einer Branche, in der viele Frauen oft über Jahrzehnte gearbeitet und sich behauptet haben. Neben Motivationen der Berufswahl, Bedingungen der Ausbildung, Qualifikation und Förderung scheinen schlaglichtartig die Arbeitswelten und Karrieren von Frauen auf. Das Verhältnis zu männlichen Kollegen und der Umgang mit der weiblichen Identität als Facharbeiterin und Ingenieurin einerseits und als Frau und Mutter andererseits wird illustriert.
Es ist ein Rückblick auf eine Vergangenheit ohne den Anspruch wissenschaftlicher Exaktheit, unternommen aus der Vorstellung heraus, daß Facetten einer komplexen Realität am ehesten in verschiedenen, sich ergänzenden wie widersprechenden, Äußerungen sichtbar gemacht werden können. Einblicke in gesellschaftlich nicht oder kaum wahrgenommene Berufsrealitäten werden so auch im Nachhinein noch möglich.
Auch wenn die exakte Beantwortung vieler Fragen repräsentativen Erhebungen vorbehalten bleiben möge, so wird in diesen Gesprächen das Verhältnis von individueller Überlegung und gesellschaftlicher Befindlichkeit gerade in jenen Situationen deutlich, wo weder Konvention noch emanzipatorischer Anspruch selbstverständlich sind, beide vielmehr in ihren Widersprüchen neu definiert und ins Verhältnis gesetzt werden müssen.
In geradezu exemplarischer Weise läßt sich nämlich im Bauwesen verfolgen, wie in den verschiedenen Phasen der DDR von ihrer Gründung über Stadien ihrer Verfestigung bis zur Neuorientierung nach ihrem Zusammenbruch dieses Verhältnis immer wieder neu formuliert wird. Der gesellschaftlich postulierte Anspruch der Emanzipation der Frau in der DDR changiert zwischen dem symbolischen gemeinsamen Aufbau einer neuen gerechten Gesellschaft, dem realen Arbeitskräftemangel, der gezielten Förderung von Frauen sowie opportunen Prämissen zur Beibehaltung privater Reproduktionsarbeit.
Die individuellen Reflektionen der Baufachfrauen liefern, über die biographisch gefilterten Wertungen hinaus, aber auch Hinweise auf die Chancen und Tücken verschiedener Formen der Frauenförderung, die das Spektrum derzeitiger Strategien erweitern und neu beleuchten können.
Was löst - jenseits der Intentionen einer offiziellen Frauenförderpolitik, aus der Perspektive der Frauen betrachtet - ihr Engagement in einem traditionell männlich besetzten Bereich aus? Sind es nur die formalen Zugangsmöglichkeiten? Ist es der gesellschaftliche Status oder die vermutete Vereinbarkeit von Rollen. Sind es athmosphärische Rahmenbedingungen oder ist es die Identifikation mit dem beruflichen Gegenstand, der Frauen ein Berufssegment wählen läßt, sie dort hält, verzweifeln oder nach Alternativen suchen läßt?
Die Frage nach Zugang und Akzeptanz von Frauen im Bau- und Planungssektor wirft aber auch weitere Fragen auf, nämlich die nach der Einflußnahme von Frauen auf die beruflichen Rahmenbedingungen und - noch schwieriger faßbar - nach der Veränderung des Planens und Bauens. Führt die vielschichtige Beteiligung von Frauen hier zu einer Modifikation? Vielleicht sogar zu einer anderen gebauten Umgebung? Auch wenn in diesen Rückblicken nur vereinzelt Ideen aufscheinen, was denn nun in Bezug auf die gebaute Umwelt anders war, ist doch auch dies eine Dimension in manchen dieser Gespräche.
Résumé
Nach anfänglicher Überwältigung und einem großen, beidseitigem Interesse am jeweils Neuen ist in der deutsch-deutschen Realität eine Kommunikationsstillstand eingetreten: Nicht-Zuhören-Wollen und Nicht-verstehen-Können haben zu einer Art gesellschaftlichem Konsens des Sich-nicht-mehr-miteiander-Befassens geführt. Untergegangen sind in diesem Wechselbad von Affinität und Fremdheit oft die tiefergreifenden, vielschichtigen Informationen, die anstelle eines allgemeinen Verständnisses ein spezifisches Verstehen erst ermöglichen. Auch wenn manche Lebens- und Arbeitsrealitäten schon nicht mehr existieren, so sind sie auch jetzt noch Bestandteil von prägenden Erfahrungen, die sicher nicht nur Verhinderungen, sondern auch andere Möglichkeiten bargen und bergen.
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