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Demokratisch Planen -
....- Aufgaben und Erfahrungen -....
Key note presentation zu "Berlin - eine Europäische Metropole"
Seminar zur Stadtentwicklung und Stadtplanung
Berlin, Französische Friedrichstadtkirche, 15.Sept.1990
veranstaltet durch:
EVANGELISCHE AKADEMIE BERLIN - BRANDENBURG EVANGELISCHE AKADEMIE BERLIN - WEST DEUTSCHER WERKBUNG BERLIN

Helga Fassbinder

in: Hanseatenweg 10, Zeitschrift der Akademie der Künste Berlin, 2/1991, S. 84 ff.; ebenso unter dem Titel "Demokratie als Bauherrin der Stadt" in: Helga Fassbinder, Stadtforum Berlin - Einübung in Kooperative Planung. Harburger Berichte zur Stadtplanung Bd.8, Hamburg 1997, S. 33 ff.

Dieser Text ist nun mehr als 20 Jahre alt. Sein Anlass, die Grossaufgabe der Zusammenfügung der beiden Teile Berlins, liegt längst hinter uns. Aber die Ausführungen zur Strukturierung von Planung als einem breiten gesellschaftlichen Prozess sind so aktuell wie eh. Das Desaster der Grossprojekte der vergangenen Jahre, voran Stuttgart 21 zeigt drastisch, wie nötig eine Umkehr in der Planungspraxis und im Denken über Planung generell ist. Die unten stehenden Hinweise geben nach wie vor für die so dringend nötige Debatte um Planungsverfahren wichtige Hinweise.



Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn ich konstatiere, daß die Planung Berlins, das Zusammenfügen der beiden Teile und die Planung des Umlands mit seinen Gemeinden die umfangreichste, komplexeste, spannendste, aber auch schwierigste Aufgabe ist, die sich gegenwärtig in Europa stellt. Die Stadt hat natürlich in ihrem Ostteil, aber wohlgemerkt auch in ihrem Westteil, einen immensen Nachholbedarf an der Ansiedlung zentraler Funktionen von Handel, Dienstleistungen und Gewerbe zu bewältigen, um auf den Standard der anderen europäischen Metropolen zu kommen. Ihre Lage macht sie zudem zu einem Brückenkopf der Entwicklung des Ostens, zum Brain, von dem die Impulse ausgehen können. Ob die Berliner dies nun schön finden oder nicht: die Stadt steht am Vorabend eines explosionsartigen Wachstumsbooms. Eine solche Situation ist gefährlich. Ullrich Pfeiffer hat in der gerade erschienenen Bauwelt (1) nachdrücklich vor der drohenden Gestaltlosigkeit gewarnt, die aus Berlin einen Großstadtbrei von der Art Tokios oder New Yorks machen könnte. Und er ist nicht der einzige, der sich hierüber Sorgen macht. Zum Ruhm Berlins aber hat in der Vergangenheit immer auch seine städtebauliche Struktur gehört, seine Durchgrünung, seine hochverdichteten und dennoch ruhigen und gemischt genutzten innerstädtischen Wohnviertel, seine Flanierstraßen, sein effizientes öffentliches Verkehrssystem etc. Daß in beiden Teilen dieses Berlins nach dem 2. Weltkrieg der Wachstumsdruck fehlte, der in anderen Großstädten City-Monostrukturen entstehen ließ, kann - ungeachtet aller damit verbundenen Nachteile - heute durchaus auch auf der Haben-Seite Berlins verbucht werden. Wenn Berlin dieser Wachstumsschub nun kondensiert zufällt, dann immerhin in einer Situation, in der andere ihre Fehler bereits gemacht haben. Berlin hat die Chance zu lernen und an einem Punkt der Erkenntnis über städtebauliche Entwicklung mit seiner Planung anzusetzen, um den es andere Metropolen mit ihrer Fülle von verpaßten Gelegenheiten beneiden können. Zudem ist Berlin in der günstigen Lage, nicht seine Seele verkaufen zu müssen, um Investoren anzulocken. Die Investoren werden kommen, auch ohne daß sie geködert werden. Vielleicht ist es schwierig für die Berliner, auch für seine Politiker, sich auf diese neue Position emotional einzustellen - aber so ist es, bestenfalls erfordert es die Nerven des Pokerns, denn natürlich wird von allen Seiten gepokert, aber es wird schnell genug deutlich werden, wie die Karten liegen. Die Berliner Stadtoberen können wählerisch sein. Sie können Bedingungen stellen. Sie sind in einer starken Position.

Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, der bei der Planung Berlins eine Rolle spielt. Ob nun Regierungssitz oder nicht: Berlin hat die Rolle der deutschen Hauptstadt inne. Und dies aus historischen Gründen und aufgrund seiner Größendimension - vergleichbar der Hauptstadtrolle von Amsterdam, dem im Spiel um das Gleichgewicht der Kräfte der vielen ruhmreichen niederländischen Städte zwar der Titel Hauptstadt zuerkannt wurde, und wer hätte Amsterdam dies bestreiten wollen, aber nicht die Funktion des Regierungssitzes. Diese Rolle der ideellen - wie auch der realen - Hauptstadt hat aber ein eigenes Gewicht. Sie verpflichtet. Eine Hauptstadt hat Symbolfunktion. Sie muß Teil der kollektiven Identität der Deutschen sein können. Man muß sich in ihr wiedererkennen mönnen. Man muß sie lieben können. Auf sie muß man stolz sein können. Auf der Planung des wieder zusammenwachsenden Berlins liegt in diesem Sinne eine große Verantwortung. Über die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung zu einem demokratischen Planungsverfahren hinaus, wie es das Baugesetzbuch generell der Bauleitplanung auferlegt, könnte eine geglückte Planung Berlins dazu beitragen, die Wunden zu heilen, die die Geschichte dem deutschen Selbstbewußtsein geschlagen hat. Denn nicht nur in ihrem Inhalt: eine schöne, lebenswerte Stadt zu erhalten und weiter auszugestalten - auch in der Art und Weise, in der die Planung abläuft, hat die Hauptstadt Berlin eine symbolische Aufgabe. Planer, Politiker und Bürger sollten sich dessen bewußt sein.

Für Berlin und seine Umgebung steht eine Planung an, die in Form und Inhalt einer demokratischen Gesellschaft Ausdruck verleiht. Eine demokratische Planung der Metropole Berlin, in der die Bürger ihre Bauherren-Rolle wahrnehmen. Was heißt das? Was kann das heißen?
In den 60er Jahren, als diese Losung vom Bürger als Bauherrn zum ersten Mal, ich glaube durch Adolf Arndt, öffentlich vorgetragen wurde, stieß sie weitgehend auf Skepsis und Ablehnung, auch bei bürgerfreundlichen Planern und Politikern. Es wurde eingewandt: es sind der Bauherren zu viele. Diese Bauherren sind nicht in ihrer Aufgabe geschult. Zudem würde ein Verfahren, in dem jeder mitreden soll, viel zu lange dauern. Und das Resultat einer solchen Planung könnte bestenfalls einen eingeebneten mittleren Standard erreichen. Wer in den 60er und Beginn der 70er Jahre eine demokratische Planung unter Beteiligung der Bürger forderte, wurde als hoffnungsloser Idealist, wenn nicht als Schlimmeres, abgetan.

Mittlerweile verlangt der Gesetzgeber im Paragraph 2 des Baugesetzbuches die Beteiligung der Bürger. Die Form, in der diese Beteiligung stattfinden soll, ist dabei nicht festgeschrieben, sie kann mündlich über Anhörung als auch schriftlich erfolgen. Festgelegt ist aber, daß die vorgetragenen Einwände und Vorschläge beantwortet werden müssen. Mit dieser Bestimmung der Beteiligung ist in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten eine reiche Erfahrung gemacht worden. Allerdings bezieht sich diese Erfahrung nahezu ausschließlich auf eine weitaus kleinere Dimension als sie hier nun ansteht: auf die Stadtteilebene, oft sogar nur die Baukomplexebene. Hierfür sind durchaus effiziente Formen entwickelt worden, wie die Bürger ihre Vorstellungen und ihre Kritik einbringen können. In West-Berlin hat sich vor allem Kreuzberg im Rahmen der IBA einen Namen gemacht mit Planen und Bauen mit den Bürgern, und es ist der Stadtteilausschuß, der sich bewährt hat in einer Situation höchst unterschiedlicher Interessen und großer Spannungen.

Die Einwände gegen demokratisches Planen mit Bürgern sind mittlerweile angesichts dieser im allgemeinen positiven Erfahrungen in den Hintergrund getreten. Auch die Frage der formellen Absicherung von Repräsentanz ist verblaßt, d.h., wer ist befugt, wen zu vertreten, und wie ist diese Befugtheit legitimiert, die früher so hoch gehandelt wurde? Es hat sich herausgestellt, daß eine mit Leben erfüllte Mitsprache anderen Gesetzen unterliegt als die der formalen repräsentativen Demokratie.

Aber nun steht eine Aufgabe von anderer Dimension als der des Stadtteils an, die die Skepsis aufs Neue aufkommen läßt. Beispiele der Planungsbeteiligung bei einer größeren Planungsdimension sind spärlich. Zu nennen wäre etwa die Donau-Raumplanung in Wien oder das Raumordnungskonzept der Niederlande, das mit dem 4. Bericht zur Raumordnung vorgelegt und beschlossen wurde. Aber auch West-Berlin hat eine eigene respektable Erfahrung: das Beteiligungsverfahren zum Flächennutzungsplan FNP 84, das in seinen ersten Vorbereitungen 1976 begonnen und 1986 abgeschlossen wurde und sehr sorgfältig und mit viel personellem Aufwand und mit einer hohen Responsquote durchgeführt worden ist.
Sind dies praktikable Vorbilder?

Die Metropolenplanung Berlin steht vor zusätzlichen Problemen.

1. Übersteigt die Dimension und die Anzahl der zu beteiligenden Personen selbst die eh schon große Zahl der Bürger im Westberliner Flächennutzungsplan-Verfahren.

2. Zudem sind neben zwei Ländern, zwei Großstadtgemeinden und zwei Bezirken eine Reihe von mittelgroßen und kleinen Gemeinden involviert, also eine Vielzahl von gleichberechtigten Köchen, was bekanntlich den Brei zu verderben droht, und

3. ist der Zeitdruck so groß, daß ein so langwieriges Verfahren wie das FNP-Verfahren nicht zu dem gewünschten Resultat führen könnte, denn schon gieren die Investoren nach jeder günstig gelegenen Fläche und versuchen, die Gemeinden und Bezirke, die sich z.Zt. ja noch nicht zusammengeschlossen haben und nicht aufeinander abgestimmt reden können, gegeneinander auszuspielen.

Die Einwände gegen demokratisches Planen mit Bürgern, die sich auf Stadtteilebene im wesentlichen als ungerechtfertigt erwiesen haben, werden nun und von allen Seiten, auch von Planern mit Beteiligungserfahrung, aufs neue erhoben. Gerade die durchgeführten großmaßstäblichen Planungsverfahren geben dazu Anlaß. Sie sind zu zeitraubend, ihr kreatives Potential ist gering, sie erschöpfen sich weitgehend in der Vertretung von Partikularinteressen. Planungsbeteiligung erscheint demnach zwar als praktikabel, ja selbst nützlich, aber beschränkt auf den kleinteiligen, überschaubaren Rahmen des Stadtteils und nicht anwendbar auf der Ebene der Region.
Es erhebt sich die Frage: Sperrt sich nicht vielleicht ein derartiges Planungsobjekt, wie die Metropole Berlin, gegen Demokratie überhaupt - und schon gar in der derzeitigen Situation mit ihrem Zeitdruck und ihrer unübersichtlichen Kompetenzstruktur ? Muß es nicht notgedrungen bei einer Planung befugter Experten bleiben, die von entscheidungsfreudigen Politikern exekutiert wird ?

Ich nehme diese Einwände sehr ernst. Mehr noch: ich teile die Kritik an den großräumlichen Beteiligungsverfahren - wenn mir allerdings auch eine andere Lösung vor Augen steht als die reine Expertenplanung. Schließlich ist die anstehende Aufgabe zu lebenswichtig, daß sie durch formelle Lippendienste in Sachen Demokratie abgeleistet oder sogar belastet oder konterkarriert werden dürfte.

Aber was war nun im Konkreten falsch an diesen Verfahren?
Nehmen wir einmal das West-Berliner FNP-Verfahren. Rein numerisch war das Verfahren ein großer Erfolg. Auf den Flächennutzungsplan, der den Bürgern vorgelegt wurde, kamen in einer ersten vorgezogenen Bürgerbeteiligung über 200 000 Reaktionen, danach erbrachte die förmliche Auslegung, die in einem zweiten Schritt durchgeführt wurde, 273 560 schriftliche Bedenken und Anregungen, von denen zwar 193 000 in Form von Unterschriftenlisten eingereicht wurden und 50 000 in Form standardisierter Briefe, jedoch 30 000 Stellungnahmen in individuellen Briefen abgegeben wurden. Zwar überlappte sich auch hier vieles, aber alles in allem wurden doch gute zweieinhalbtausend verschiedene Einwände gemacht. Und diese Einwände wurden auch alle einzeln beantwortet. Sie können sich vorstellen, daß ein Trüppchen von Stadtplanern ein ganzes Jahr allein mit dieser Aufgabe beschäftigt war.

Im Laufe des Prozesses der Bearbeitung und evtl. Einarbeitung dieser Einwände und ihrer Beantwortung aber geschah nichts, um die Positionen, die vorgetragen worden waren, einander näher zu bringen. Jedenfalls nicht in den Köpfen der Menschen. Es waren allein die Planer und Politiker, die Schlußfolgerungen hieraus zogen. Der überarbeitete Plan wurde dann dem Parlament zur Beschlußfassung vorgelegt. Der Form der Beteiligung selbst aber waren keine Elemente der Entwicklung von Standpunkten im Sinne einer Annäherung und Konsensbildung eigen - sie war im Prinzip individualisierend. Sie trug als solche nicht dazu bei, die Gegensätzlichkeit von Standpunkten abzubauen. Sie war nicht Teil eines kollektiven Prozesses der Annäherung von Positionen, Teil eines Prozesses der Kompromißfindung.

Das ist anders bei gut verlaufenden Beteiligungsprozessen auf Stadtteil- oder Projektebene.
Hier werden die Menschen miteinander ins Gespräch gebracht, sie müssen sich mit den Vorstellungen anderer auseinandersetzen. Im Laufe der vielen Diskussionen wird dann den Beteiligten deutlich, daß eine Lösung, ein Resultat, wie es im Plan beschrieben wird, unterschiedliche Aspekte abdecken muß. Wobei jeder etwas Wasser in den Wein tun muß. Wenn solch ein Prozess gut strukturiert und gesteuert wird durch eine sich als neutral begreifende, außenstehende Instanz, dann stellt er einen Lernprozeß in sozialem Verhalten bei allen Beteiligten dar.
Der Stadtteilausschuß Kreuzberg z.B. vollbrachte in einem sehr konfliktreichen und polarisierten Stadtteil eine solche Leistung, und das ist seinen Initiatoren und seinem Vorsitzenden gar nicht hoch genug anzurechnen. Hier ging es gleichzeitig um das Erlernen und Einüben von demokratischem Verhalten - und das ist auf einem anderen Niveau angesiedelt, als das formelle Auszählen und Wichten von Einsprüchen, wie es beim FNP-Verfahren angewandt wurde.

Das FNP-Verfahren stellt demgegenüber quasi die Elementarstufe in Demokratie dar, bei der vor allem der gute Wille zählt, und dies, daß ein wirklicher Anfang gemacht wurde.
Bleibt die Frage, ob ein über diese quantifizierende Form hinausgehendes Verfahren nicht doch in seiner Anwendung beschränkt ist auf den kleinen territorialen Maßstab.

Um diese Frage zu behandeln, die hier ja unsere Kernfrage ist, muß ich einen großen Exkurs einschieben, einen Exkurs über das, was Demokratie ist und wie sie gemacht wird. Und dieser Exkurs stammt nicht aus dem deutschen Kontext, der, in Sachen Demokratie nur beschränkt hilfreich ist, denn die Deutschen haben bekanntlich nur eine kurze Geschichte im friedlichen demokratischen Miteinanderumgehen. Der Kontext ist der meiner niederländischen Wahlheimat, in der ich seit 15 Jahren lebe. Die Erfahrungen der niederländischen Gesellschaft mit dem demokratischen Miteinanderumgehen sind einige 100 Jahre alt, und entsprechend ausdifferenziert ist die Kunst, wie man Demokratie macht - denn es geht hierbei wirklich um eine Kunst.
Daß die Niederländer mit dem Erlernen dieser Kunst so früh begonnen haben, ist freilich nicht etwa ihrer besseren Einsicht zuzurechnen, sondern hat zu tun mit den physischen und später den politischen Umständen, unter denen sie lebten. Genau besehen beginnt das Verhaltenstraining in Sachen Demokratie mit der Jahrtausendwende und ist von ähnlicher Art und Unausweichlichkeit, wie die Umweltproblematik für uns heute: die Meeresüberflutungen, die immer wieder die Ansiedlu ngen hinwegzuspülen und das Land unter Salzwasser zu setzen drohten, machten einen planvollen Umgang mit der Natur erforderlich. Gemeinsame Aktionen waren dazu - und sind es immer noch - lebenswichtig: der Deichbau und die Wasserregulierung verlangen die Hintansetzung kurzfristiger Eigeninteressen gegenüber einer langfristigen, kostspieligen, gemeinsamen Planung und Ausführung. Mehr noch: in ihrer Bedrohtheit durch die Naturgewalt des Wassers sind alle gleich. Das ist wohl eine elementare Erfahrung, die ein Gefühl des Aufeinanderangewiesenseins hervorgebracht hat und den Grundstein gelegt hat für die demokratische Bereitschaft, das Eigeninteresse zu relativieren und sich einzuordnen. (Vielleicht könnte in unserer Epoche die Notwendigkeit, die Umweltkatastrophe zu bewältigen, eine ähnlich heilsame Wirkung der Selbstrelativierung auf die Menschen ausüben, wie die damalige Aufgabe der Bewältigung der Naturgewalt).
Als dann die Spanier im 16. Jhd. diesem selbstbewußten Küstenvolk, das selbst das Meer gebändigt hatte, ihre Herrschaft und Religionsform auferlegen wollten, erwies sich das Gemeinschaftsgefühl als so stark, daß es die 7 Kernprovinzen der Niederlande zu einem 80jährigen Abwehrkampf zusammenschweißen konnte. Und als dann, durch die Anstrengung des Adels wie der Städte die Spanier vertrieben waren, war die in den Aktionen erreichte Gleichheit so stark, daß an eine erneute Unterordnung der Bürger nicht mehr zu denken war.
Und damit begann in den Städten der Lernprozeß in Sachen gemeinsamer Ausübung der öffentlichen Geschäfte. Zunächst erstreckte sich die Gemeinschaft nur auf die Besitzbürger. Aber im Verlauf des kollektiven Lernprozesses, den man gesellschaftliche Emanziption nennt, wurden immer weitere Gruppen, die Mitsprache beanpruchten, kooptiert. Zuletzt übrigens die Frauen. Auf diese Weise hat es in den Niederlanden niemals eine Revolution gegeben. Sie war überflüssig angesichts einer so breiten Machtelite, die gelernt hatte, mit Verschiedenheit umzugehen - zuerst mit ihrer eigenen Verschiedenheit, und dann auch mit der anderer.
Vor diesem Hintergrund hat sich in den Niederlanden eine politische Kultur herausgebildet, die in der Herstellung von Konsenz und Kompromiß die höchste soziale Kunst sieht. Hieran werden die Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen gemessen, und noch mehr gilt das für die Politiker und Träger öffentlicher Ämter. Ensprechend erscheint als Führungsqualität auch nicht die Fähigkeit zur Durchsetzung der eigenen Meinung, sondern das Vermögen, die Wünsche und Vorstellungen, die in der Gesellschaft leben, auf ein anerkanntes gemeinsames Ziel hin zu bündeln.

Von außen betrachtet, gibt es dieselben demokratischen Groß-Strukturen und Verfahren wie in anderen Ländern: im 4-Jahresrhythmus geht ein jeder zur Wahlurne für die Wahl der Vertreter im Parlament, auf Länderebene und in den Kommunen. Aber neben diesen großen Ritualen gibt es eine wichtige Feinstruktur, nämlich eine Vielzahl von Kommissionen und Beiräten, die z.T. als feste, z.T als zeitweilige Einrichtungen für alle Bereiche und für alle anstehenden größeren Aufgaben bestehen. Ob es nun darum geht, Entscheidungen in der Wohnungspolitik vorzubereiten, die Frage einer Steuerreform oder des Krankenkassenwesens zu untersuchen, Orchester mit Subventionen zu versehen - die Regierung läßt sich beraten durch einen Beirat für Wohnungsversorgung, für Raumordnung, für Bildende Kunst etc. Oder auf Gemeindeebene, wo es eine Vielzahl von Entscheidungen in den unterschiedlichen Bereichen vorzubereiten gilt: für alles und jedes gibt eine zuständige Kommission, nötigenfalls wird sie speziell eingesetzt. Selbst jede öffentliche Einrichtung, sei es eine Schule, eine Universität oder ein Krankenhaus, hat ihr Spektrum von Kommissionen.

Diese Organe nun sind paritätisch besetzt - aber nicht streng formal, nach Listen von Interessengruppen und Vertretern, die ihre Legitimität beweisen müssen, sondern sie werden nach Augenschein aller Beteiligten zusammengestellt durch die Entscheidungsträger. Die Mitglieder werden quasi kooptiert nach Maßgabe dessen, ob sie als Exponenten der sozialen Gruppierung, der bestimmten weltanschaulichen Strömung oder der bestimmten Interessengruppe, für die das anstehende Problem ein besonderes Anliegen sein dürfte, angesehen werden können. Und wenn eine relevante Gruppe vergessen worden ist, wird sie, wenn sie sich kennbar macht, dann eben eventuell noch nachträglich zugefügt. (Ich selbst bin in einer ganzen Reihe von Kommissionen tätig, vom nationalen Niveau bis hin zur universitären Ebene, und werde wohl, von den rein fachlichen Funktionen einmal abgesehen, als Repräsentantin von Positionen, wie man sie von der Seite von nutzer- bzw. bewohnerorientierten Fachleuten erwartet, mit solchen Aufgaben betraut). Einer solche Kommission wird ein "Sekretär" zugefügt, der die Sitzungen vorbereitet, Prokokoll führt und den eventuellen Schriftverkehr der Kommission regelt, sodaß die Zeit, die die Kommissionsmitglieder beansprucht werden, sich im wesentlich auf die Lektüre der vorbereitenden Schriftstücke und die Beratung selbst beschränkt.
Generell gilt: Entscheidungen werden vorbereitet durch ständige oder ad hoc eingesetzte Kommissionen, Beiräte, Foren - sie tragen unterschiedliche Namen. Die Funktion dieser Kommissionen ist, die in der Gesellschaft zu dieser Frage vertretenen Meinungen aufeinander abzustimmen und eine Lösung vorzubereiten, die so weit wie möglich von allen getragen werden kann. Das Ergebnis wird dann als Abstimmungsvorlage, mit Begründung versteht sich, dem Entscheidungsgremium zur Absegnung vorgelegt. Und es herrscht die Gepflogenheit (manchmal ist dies auch per Geschäftsordnung festgelegt), daß die Entscheidungsträger diesen Rat übernehmen, wenn nicht gute Gründe dagegen sprechen. Da eine Nicht-Übernahme der Entscheidungsvorlage als Affront der Kommissionsmitglieder, insbesondere des Vorsitzenden gilt, ist man damit sehr zurückhaltend. Auf jeden Fall muß dann sehr gut motiviert werden, wo und warum davon abgewichen wird. Auf diese Weise werden praktisch alle wichtigen oder konfliktträchtigen Entscheidungen ausführlich gesellschaftlich abgestimmt und einem Konsensverfahren unterworfen, bevor sie zum formalen Beschluß kommen.

Es ist also ständig auf allen gesellschaftlichen Ebenen ein vielverzweigter Abstimmungsprozeß im Gange, in dem sich Bürger in der Kunst üben, einen gemeinsamen Nenner zu finden mit Vertretern anderer Interessen und Sichtweisen.
Das hat als Resultat, daß Beschlüsse von den Betroffenen nicht so schnell als ihnen auferlegt, als von oben kommend erfahren werden. Die Vertreter jeder Position hatten schließlich, zumindest im Prinzip, Gelegenheit zur Mitsprache - wenn sie nicht genutzt worden ist, dann kann es daran liegen, daß der Platz im Abstimmungsprozeß nicht wahrgenommen worden ist, aber auch daran, daß sich einer Position, die sich nicht selbst zu Wort melden kann, noch keine soziale oder weltanschauliche Organisation angenommen hatte. Was mit einiger Sicherheit geschehen wird, sobald sich hier ein Konflikt abzeichnet.

Diese Kommissionen sind in meinen Augen das Fleisch der Demokratie. Angesichts dessen, daß Entscheidungen immer komplexer werden und auch immer mehr entschieden werden muß, wächst auch die Zahl der Kommissionen stets. Periodisch wird zwar aus Gründen der Einsparung danach gerufen, sie einzugrenzen, einige werden demonstrativ aufgehoben. Aber schon werden wieder neue nötig - denn ohne sie ist keine ordentliche, einigermaßen widerspruchsfreie Beschlußfassung möglich. Beschlüsse aber müssen breit getragen werden, wenn sie funktionieren sollen - das gehört zu den allgemein verbreiteten Grundansichten über demokratische Spielregeln.
Eine wichtige Rolle in diesen Kommissionen spielt der Vorsitzende. Generell gilt für alle Situationen: Der Vorsitzende hat keine Stimme, er steht über dem Interessengerangel. Er ist neutral. Die Qualität eines Vorsitzenden einer Runde mißt sich denn auch nicht daran, ob er es versteht, die Runde seiner Position unterzuordnen, um himmelswillen ! Sondern daran, inwieweit er es versteht, unparteiisch die durch die Anwesenden reihum vorgetragenen Argumente so zusammenzufassen, daß ein jeder sich in einem Aspekt seines Resümees wiedererkennen kann. Er formuliert also den Konsens. Ihm - und nicht den unmittelbaren Kontrahenten - sollen eigentlich auch die Positionen erläutert werden, und je höher der Status einer Kommission und je wichtiger die von ihr vorbereiteten Entscheidungen sind, desto förmlicher hält man sich an diese Spielregel, die ja dazu beiträgt, die unmittelbare Konfrontation von Positionen abzubauen und an deren Stelle die vernünftige Argumentation gegenüber einer neutralen moralischen Instanz, verkörpert im Vorsitzenden, zu setzen.
Das heißt natürlich nicht, daß der Vorsitzende nicht unterschiedlich gewichtet. Im Resümee, im Kompromiß findet sich eine Abspiegelung der Kräfteverhältnisse wieder, wobei auf dem Hintergrund des Gemeinwohls die einzelnen Interessen entsprechend ihrem gesellschaftlichen Gewicht ihre Berücksichtigung finden. Ist dieser Kompromiß in aller Redlichkeit formuliert - und auf Redlichkeit ist der Vorsitzende Kraft seiner Funktion verpflichtet - wird er widerspruchslos akzeptiert und von allen Beteiligten zum Ausgangspunkt des Handelns gemacht. Bei der nächsten anstehenden Entscheidung, wenn die Kommission aufs neue tätig wird und wiederum rundum die Argumente vorgetragen werden in der Hoffnung auf ihre Überzeugungskraft, werden sich etwaige Verschiebungen im Kräfteverhältnis und den möglichen Koalitionen zeigen und ihren Niederschlag im dann durch den Vorsitzenden gezogenen Resümee finden.

Das ist das Spiel der Feingliederung einer parlamentarischen Demokratie.

Aber die Niederlande sind keine Schönwetter-Gesellschaft. Wie überall gibt es naturgemäß auch Auseinandersetzung, unvereinbare Standpunkte, harte Diskussionen. Nur: da den vorgetragenen Positionen die Rechthaberei, das Absolut-Setzen der eigenen Meinung abgeht, fehlt ihnen auch die verletzende Schärfe und die Mißachtung des Andersdenkenden, die in Deutschland Debatten und Entscheidungen oft so polarisierend machen und Gewinner und Verlierer zurückläßt. Ich habe die besondere Kunst beschrieben, die ein Vorsitzender besitzen muß. In diesem Detail der Verfahrensweise spiegelt sich das, was ich vorhin als den Kern demokratischen Verhaltens beschrieben habe: nämlich die Fähigkeit, seine eigene Sichtweise als begrenzt und ausschnitthaft wahrzunehmen, sich also selbst zu relativieren, und die Bereitschaft, sich einzufügen in einen größeren Kontext.
Das wird möglich, wenn die politische Kultur so angelegt ist, daß es zu den Spielregeln gehört, Lösungen nicht aus einer Machtposition heraus, und sei es der der Mehrheit, zu entwikkeln, sondern iim Idealfall als Quersumme der in der Gesellschaft vertretenen Positionen zu konstruieren. Es kommt dabei im Prinzip nicht darauf an, daß dies einmal mehr und einmal weniger gelingt, daß nicht selten auch geschummelt und manipuliert wird. Entscheidend ist, daß dieses Verfahren, das geleitet ist von der Intention, über Kompromisse zu einem gesellschaftlichen Konsens zu gelangen, Teil des kollektiven Ich-Ideals der Gesellschaft für den Umgang der Menschen miteinander und den Umgang mit der Macht darstellt.

Sie werden mittlerweile verstanden haben, warum ich die niederländische Kunst des Demokratiemachens so ausführlich geschildert habe. Sie stellt eine Form der demokratischen Meinungsbildung dar, die die eingangs genannten Einwände gegen ein demokratisches Beteiligungsverfahren bei der Planung der Metropole Berlin in Frage stellt.
Ich erinnere - eingewendet wird - daß die Anzahl der Betroffenen und zu Beteiligenden zu groß sei, und - daß der Prozeß zu langwierig sei, weshalb demokratische Verfahren nicht für Planungen dieser Größenordnung geeignet seien. Dieser Einwand trifft zu, wenn in der oben anhand des FNP-Verfahrens beschriebenen Weise vorgegangen wird. In diese Art von Verfahren selbst ist kein Konsensbildungsprozeß eingebaut, sodaß die große Zahl der Beteiligten sich nicht im Laufe des Verfahrens von einer individuellen Interessenvertretung hin zu einer gemeinschaftlich getragenen Kompromißlösung verbinden kann. Auch bringt die Formalisierung der Einsprüche in langwierigen Sammel- und Zählaktionen und ihre individuelle Beantwortung mit sich, daß kostbare Zeit nicht genutzt werden kann.
Eine solche Vorgehensweise würde ich aber eher als ein Frühstadium im Lernprozeß, wie man Demokratie macht, bezeichnen, als ein Defizit, das demokratischen Verfahren inhärent ist.

Sinn und Ziel der Beteiligung ist, so hat es der Gesetzgeber bereits in den 70er Jahren formuliert, eine Verbesserung der Planung dadurch, daß durch die Beiträge der Bürger und Interessengruppen die Lösungen differenzierter und komplexer werden. Nun wird bekanntlich erst dann etwas zum Gesetz, wenn auch eine breite Mehrheit von Sachverständigen und Entscheidungsbefugten der Ansicht ist, daß die Sache so und nicht anders geregelt werden muß. Das gilt auch bei der Stadtplanung hinsichtlich der Planungsbeteiligung. Und wie recht im Sinne eines modernen Planungsverständnisses von komplexen gesellschaftlichen Vorgängen der Gesetzgeber mit seiner Beteiligungsbestimmung hat, kann vielleicht nicht besser illustriert werden als durch den derzeitigen Planungsanlaß selbst, die Zusammenfügung Berlins als Folge des Fiaskos des DDR-Staates.
Dieses Fiasko ist gleichzeitig auch das Fiasko eines längst überholten, zentralistischen Planungsmodells, mit dem die höchst komplexen und widersprüchlichen Vorgänge einer modernen Industriegesellschaft von oben her geregelt werden sollten. Was auf Dauer unmöglich ist. In unseren heutigen Industriegesellschaften mit ihrem differenzierten Wechselspiel der sog. Marktparteien, zu denen auch die Bürger gehören, ist jede Regulierung von oben auf das Mitmachen der Menschen angewiesen. Maßnahmen, Gesetze und Planungen bedürfen der Akzeptanz durch den Bürger, andernfalls sind sie wertlos und müssen zurückgenommen werden, um das Ansehen der Obrigkeit, die sie verantwortet, nicht zu untergraben. Planen und Regeln funktioniert nur noch in einem Zusammenwirken, in einer Wechselwirkung von Oben und Unten. Das hat nichts mit Idealismus oder Sozialromantik zu tun, auch nicht mit weltfremdem Harmoniedenken, sondern ist ganz simpel eine Erkenntnis moderner Management-Technik.
Glauben Sie auch ja nicht, daß die Niederländer aus einem anderen Grund als dem der Wirtschaftlichkeit und Effizienz solch ein breit verflochtenes Gesellschaftsspiel in Sachen Beteiligungsverfahren spielen würden. Zwar nehmen Moral und Gerechtigkeit eine große Rolle im öffentlichen und im privaten Leben ein - aber Moral und Gerechtigkeit darf die Kosten nicht erhöhen. Dazu sitzt den Niederländern der Kaufmannsgeist viel zu sehr in den Knochen - schließlich ist auch der Handelskapitalismus hier einige Jahrhunderte alt.

Aber inzwischen hat sich die Sache mit der Planung sogar noch einen Schritt weiter kompliziert - und damit gewinnt die Forderung nach demokratischer Planung noch eine weitere Dimension der Notwendigkeit: Heute ist nicht nur eine Methode erforderlich, die der Komplexität gesellschaftlicher Vorgänge adäquat ist - das wäre noch eine statische Formulierung. Nötig ist eine Methode, die mit der ungeheuren Dynamik gesellschaftlicher Veränderung und Entwicklung umgehen kann. Was heute noch gilt, ist morgen schon überholt, und das hat mehr mit technologischer Entwikklung zu tun als mit einer Mode des Lebensstils.
Bei langfristigen Investitionen ist das eine fatale Sache und bei öffentlichen Planungen, die für private Investitionen Vorleistungen bieten sollen, eben dito. Globale, aber deutliche Strukturen müssen gefunden und festgelegt werden, die gleichzeitig so offen wie möglich für potentielle Entwicklungen sind. Strukturen, die möglichst vielen Aspekten Rechnung tragen können, ohne ihren strukturierenden Charakter zu verlieren. Das ist nicht mehr am Büro oder Zeichentisch allein zu bedenken. Auch nicht mit dem Computer zu simulieren - dazu sind die Modelle nicht kreativ und komplex genug. Das geht nur im Dialog, im Zusammenspiel aller potentiellen Nutzer, der Bürger, der Investoren, der Verbände, der weltanschaulichen Gruppen, etc.
Einerseits müssen globale Strukturen festgelegt werden, denn nur so können Qualitäten entstehen und der städtebauliche Einheitsbrei, von dem Pfeiffer redet, vermieden werden.
Andrerseits müssen Entscheidungen so spät wie möglich gefällt werden können, das Risiko so breit wie möglich gestreut und so viel wie möglich durch Committment, Identifikation und Akzeptanz abgefangen werden.

M.E. liegt übrigens hier eine wesentliche Ursache für die rasante Umwälzung in der sozialistischen Welt. Die in diesen Ländern verwendeten Steuerungs- und Planungskonzepte konnten mit dieser Entwicklung nicht fertig werden. Ich erinnere noch mein Erstaunen, als ich bei meiner Tätigkeit als Rapporteur für den Economic Council of Europe der Vereinten Nationen bei der Diskussion der gebietsbezogenen Planungsverfahren mit den Vertretern der Sozialistischen Länder konfrontiert wurde. Sie trugen Modelle von Endzustandsplanung vor, die in Ländern wie England, den Niederlanden oder den USA im Laufe der vergangenen Jahrzehnte längst durch Konzepte der Prozeßplanung abgelöst worden sind.

Mit Prozeßplanung ist eine Planung gemeint, die im Idealfall die globalen Ziele definiert und ihre Ausformulierung und Konkretisierung im Maße der anstehenden Realisierungsmöglichkeiten in einem Wechselspiel von buttom up und top down betreibt, dh von Bürgern, Nutzern und Investoren einerseits und den planungbefugten Instanzen andrerseits.
Ich würde in einem solchen Planungsverständnis die Essenz demokratischen Planens auf unserem heutigen Entwicklungsniveau sehen.

Demokratisch Planen ist also alles andere als ein idealistisches Postulat oder eine schöne Zutat für Wahlreden. Es zeichnet sich vor allem aus durch Flexibilität und die kluge und weitsichtige Steuerung einer Vielzahl von relativ autonomen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Prozessen hin auf gemeinschaftlich getragene Lösungen.
Diese Herangehensweise ist eine Voraussetzung für das Planen in komlexen Situationen, an denen eine Vielzahl von Akteuren mit jeweils eigenen Interessen, eigener Dynamik und einem großen Maß an Selbständigkeit beteiligt sind und Teilfunktionen übernehmen sollen.

Aber bleibt die Frage: wie soll sie nun gemacht werden, diese demokratische Planung, wenn das Gebiet sehr groß ist und die Zahl der Beteiligten 4,5 Milionen Menschen umfaßt und ein immenser Zeitdruck herrscht? Ich will versuchen, hierzu einige Überlegungen anzureichen, die kein schlüssiges Modell darstellen, sondern Bausteine aus Erfahrungen, wie sie an verschiedenen Orten mit Versuchen einer qualitativen Beteiligung gemacht worden sind.

Ich habe gesagt: Demokratie ist nur in ihrer allerrudimentärsten Form das Abzählen von Köpfen bei einer Abstimmung. Demokratie ist vielmehr ein Verfahren, mit dessen Hilfe ein gemeinsamer Nenner entwickelt wird, mit dem alle Beteiligten leben können.
Demokratie ist eine Methode zur Herstellung von Konsenz.
Angewandt auf Planung heißt Demokratie: Entwicklung einer Vorgehensweise, die die Integration der Sichtweise möglichst vieler, im Idealfall aller Beteiligten gewährleistet.

Spätestens an dieser Stelle werden Sie einwenden: Aber es gibt doch Interessen, die einander ausschließen und zwischen denen kein noch so lang gesuchter Kompromiß zu finden ist.
D'accord, es gibt die Ausschließlichkeit von Interessen, aber unter dem Blickwinkel des gemeinsamen Ziels der lebensfähigen und lebenswerten Stadt gibt es auch einen gemeinsamen Maßstab für ihre Gültigkeit. Wird an der eigenen Position, die ja zwangsläufig begrenzt und ausschnitthaft ist, absolut festgehalten, haben wir es eher zu tun mit einer neurotischen Zuspitzung als mit einem Interessengegensatz. Dafür gilt: Die absolute Durchsetzung des eigenen Standpunkts unterminiert sich selbst. Die deutsche Geschichte der vergangenen 80 Jahre liefert hierfür genügend Beispiele.
Das Vermögen, die Bescheidenheit aufzubringen, seinen eigenen Standpunkt zu relativieren, das ist eine essentielle, vielleicht die essentielle Voraussetzung in der psychischen Verfassung von Individuen für eine demokratische Gesellschaftsordnung.

Nun ist das nicht einfach. Im allgemeinen geben Individuen im Laufe ihres Reifungsprozesses ihre frühkindlichen Allmachtsgefühle nicht gerne freiwillig auf zugunsten einer solchen bescheidenen Selbstrelativierung. Diese Erkenntnis wird ihnen erst in einem mühsamen Lernprozeß des Einfügens in die Realität auferlegt. Für Gruppen, für Gemeinschaften, für Nationen gilt dasselbe. Norbert Elias hat in seinen "Studien über die Deutschen" (3) die besondere Schwierigkeit beschrieben, die gerade die Deutschen mit ihrer zerrissenen Geschichte mit diesem Reifungsprozeß haben.

Vor diesem Hintergrund hat heute die Umweltproblematik eine besondere, vielleicht heilsame Bedeutung: sie zwingt uns bei Strafe unseres individuellen (und kollektiven) physischen Untergangs, die Realitätsgesetze der Natur zu respektieren und uns mit unseren individuellen Wünschen und Allmachtsvorstellungen zurückzunehmen und einzufügen in ein größeres Ganzes, in eine Gemeinschaft des Interessenausgleichs der Menschen untereinander sowie mit der belebten und unbelebten Natur.
Es ist das Verdienst der Umweltdebatte, daß wir uns dessen bewußt werden, wie unverzichtbar jede Position vor dem Hintergrund unseres gemeinsamen Überlebensinteresses formuliert werden muß und dieser gemeinsame Nenner Prüfstein ihrer Legitimität ist.

Wie kann man nun diese Überlegungen umsetzen auf das hier in Berlin anstehende Problem einer breit fundierten demokratischen Planung?

Zunächst einmal zu der Frage der möglichen Herstellung von Konsenz über das Planungskonzept. Hier liegt ja nun mit der Arbeit der Planungsgruppe Potsdam des provisorischen Ausschusses ein Ansatz vor, den es zu modifizieren und anzureichern gilt.
In meinen Gesprächen mit einer Reihe von Berliner Planern ist mir zweierlei deutlich geworden:
Einmal die große Sorge, daß die nun anstehenden Entscheidungen im kleinkarierten Interessengerangel untergehen werden und Berlin und sein Umland Opfer derselben Zersiedlung werden könnte, wie es die anderen großen Städte mit starkem Wachstumsschub geworden sind. Diese Sorge wird auch geteilt von vielen Bürgern, die über das, was jetzt ansteht mit der Entwicklung ihrer Stadt, nachdenken. Dieses Seminar selbst ist ja Indikator für die gemeinsame Besorgtheit beider Gruppen.
Zum andern wurden oft einzelne Punkte als besonders zentral hervorgehoben: es dürfen keine Monostrukturen von Büro- und Verwaltungsbauten entstehen, das Angebot an Büro- und Gewerbeflächen muß stark erhöht werden, die Wohnungsbauproduktion muß drastisch erhöht werden, die Polyzentralität der Stadt muß erhalten bleiben, innerstädtische Flächen dürfen nicht professionellen Anlegern ausgeliefert werden, Investoren dürfen nicht abgeschreckt werden, die Durchgrünung der Stadt muß unter ökologischen Gesichtspunkten vorangetrieben werden, der Ausbau des ÖPNV und das Zurückdrängen des MIV müssen betrieben werden, der nun bevorstehende Zuwachs an Individualverkehr erfordert einen entsprechenden Ausbau des Straßennetzes Straßenrückbau muß Vorrang haben der städtische Charakter Berlins muß akzentuiert werden, die Stadt darf nicht weiter verdichtet werden.

Einige dieser Positionen sind einander diametral entgegengesetzt, und es erscheint zunächst ein Kompromiß nicht möglich, von manch einem auch explicit nicht gewünscht. Doch ist dies eine Frage des Blickwinkels. Vor dem Hintergrund einer vielgestaltigen Stadt, deren städtischer Charakter gerade in der Unterschiedlichkeit ihrer einzelnen Gebiete liegt, können sie im wesentlichen auch als komplementär gesehen werden. Worum es geht, ist nicht "ob" oder "ob nicht", sondern Wo Was Wieviel und Wie.

Im 4. Bericht zur Raumplanung der Niederlande, der das Raumplanungskonzept bis 2015 vorlegt, stehen Planungsprinzipien, die ich für sehr wichtig halte: vorhandene Qualitäten verstärken, Unterschiede betonen, Charakteristica akzentuieren. Das sind ganz hervorragende Leitideen. Nicht überall muß alles gleich sein. Selbst der vielgelobten durchmischten Charlottenburger Wohngebiete würde ich überdrüssig werden, wenn ich sie überall vorfinden müßte, und die durchgrünten locker bebauten Villengebiete Grunewalds würden trotz guter Luft in mir ein ungestilltes Bedürfnis nach Großstadt wach rufen, wenn sie das einzige räumliche Erlebnis darstellen würden. Kein städtischer Einheitbrei, aber auch kein dörflicher unter ökologischen Vorzeichen. Verschiedenheit, Akzente unterschiedlicher Art. Das ist es, was wir suchen. Das setzt die Bestandsaufnahme und Analyse des Vorhandenen voraus. Auch ein Stück Selbstbefragung bei den dort Lebenden. Was sind die Charakteristica und was die spezifischen Qualitäten, was ist es, was ich besonders schätze? Wenn man sich so klar geworden ist über die Art und Vielfalt der Flecken im städtischen Gewebe, über das WO WAS, (und was von dem, was evtl. noch undeutlich, multi-interpretierbar ist, einer Akzentsetzung bedarf), dann kann die Verhandlung über Art und Funktionen der Investitionen beginnen.

Es ist nicht von ungefähr, daß im vergangenen Jahrzehnt an verschiedenen Stellen, unabhängig voneinander der Begriff "Unterhandlungsplanung", negotiation planning, entstanden ist, so in der angelsächsischen Welt, in den Niederlanden, in Frankreich. Damit wird das Tauziehen am runden Tisch der verschiedenen sog. Partizipanten der Planung bezeichnet, das die Planung in jeder Stufe, von der Zielformulierung über den gesamten Prozeß der Ausarbeitung der Bauleitpläne bis hin zur Realisierung der Bauprojekte begleiten kann. Ob die Herstellung von Kompromiß und Konsenz in den verschiedenen Schritten der Planung möglich ist, hängt von der Art des Verfahrens ab - und von der Bereitschaft der Beteiligten, zu einem Konsenz zu kommen. Sind die Unterhandlungsgegenstände gut strukturiert und vorbereitet, haben sich die Beteiligten vorab hinreichend sachkundig gemacht, dann können Stück für Stück selbst sehr komplexe Fragen breit behandelt und abgestimmt werden.

Denken Sie etwa an die Runden Tische, wie wir sie hier in Ostberlin und in anderen Städten der DDR erlebt haben, an denen die Repräsentanten unterschiedlicher Gruppen und Interessenslagen miteinander diskutierten. Übersetzen Sie für sich dieses Modell, versehen mit einem weisen Vorsitzenden, wie ich ihn geschildert habe, auf die hier anstehenden Fragen, und Sie haben eine Institution, die - ohne daß sie dafür mit einem juristischen Rahmen ausgestattet sein muß - meinungsbildend im Hinblick auf das Erreichen eines Konzenses wirken kann. Wenn eine solche Diskussionsrunde, ein solcher Runder Tisch zum Thema Planung Berlins und seines Umlands, sich zusammensetzt nach einer Vorbereitung durch die beauftragten Experten, wie nun etwa dem Arbeitsergebnis der Planungsgruppe Potsdam, das jetzt vorliegt, dann würde ein solcher Runder Tisch quasi als Symbol für eine Vielzahl von möglichen ähnlichen Diskussionsrunden (etwa auf Stadtteilebene, aber auch zu Teilfragen wie Verkehrsführung, Zentraler Bereich etc.), sensibilisierend, meinungsbildend und Schritt für Schritt konsensstiftend wirken können. Und er würde den Auftrag und die Erwartung erfüllen, die das Planungsrecht an die Beteiligung der Bürger stellt: durch seinen Beitrag die planerischen Lösungen komplexer zu machen, nuancierter, besser. Unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung des Beteiligungsparagraphen des Baugesetzbuches würde ein solcher Runder Tisch in der Nähe gesamtstädtischer Bürgerforen stehen, etwa dem Münchner Forum.

Gegenüber dem Beteiligungsverfahren, das beim FNP angewandt worden ist, hätte der Runde Tisch den großen Vorzug, nicht nur Meinungen zu generieren, sondern sie auch aufeinander abzustimmen und mit dem Abstimmungsergebnis gleichzeitig Vorschläge auf den Tisch zu legen, wie sie in die durch beauftragte Experten vorbereiteten Planungskonzepte integriert werden können und dadurch zu ihrer Verbesserung beitragen können. Ein Stück Verhandlungsplanung in einem im wesentlichen informellen Seitenstrang des Planungsverfahrens.

Wie könnte ein solcher Runder Tisch zusammengesetzt sein? Als Richtlinie könnte die Liste der zu beteiligenden Vertreter von Interessengruppen bei der Bauleitplanung dienen.
Nach den positiven Erfahrungen mit den Bürgerforen, auf die man aufbauen kann, wäre zu überlegen, ob man nicht einen Schritt weiter gehen und nach dem Prinzip der "Exponenten" von sozialen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Gruppen verfahren sollte. Einige dieser zu beteiligenden Kategorien sollten vielleicht auch expliziter zu Wort kommen als es die Kategorien der Bauleitplanung beschreiben. So z.b. sind die Investoren in Wirtschaft und Wohnungsbau, die es mit einzubeziehen gilt in einen zu findenden Konsens, kaum homogen genug, als daß es nicht nötig wäre, sie mit mehreren Vertretern einzubeziehen. Wirtschaftliche Erwägungen sollten nämlich von vorneherein offen in den Abstimmungs- und Konsensbildungsprozeß mit einfließen. Hier geht es schließlich um die Konkretisierung eines gemeinsamen Ziels: die Metropole Berlin zu einer attraktiven, wirtschaftlich gesunden und lebenswerten Stadt zu machen.

Dabei wäre sicherlich hilfreich, wenn - um nochmals auf meine niederländische Schatzkiste an demokratischen Techniken zurückzugreifen - Berlin über ein öffentlich zugängliches Planzentrum verfügen würde, wie es die Gemeinde Amsterdam eingerichtet hat. Gut zugänglich und in attraktiver Lage, ausgestattet mit einem Modell der Stadt, Vortragsräumen, Dia-, Video und Filmarchiv, wäre es bestens geeignet, Anschauungsmaterial zu liefern, Raum für Erläuterung und Diskussion zu bieten und Zentrum der Auseinandersetzung um die Gestaltung der Stadt und der Region zu sein. Die Arbeit des Runden Tisches ist aber nicht denkbar ohne eine eingehende, öffentlich geführte Diskussion in der Fachwelt. Die sich um den Runden Tisch kristalisierende, sensibilisierte Öffentlichkeit der Bürger und Interessengruppen sollte, ja muß zusätzlich quasi gefüttert werden durch breit geführte Diskussionen der unabhängigen Experten mit ihren Fachkollegen und mit interessierten Bürgern. Wie so etwas aussehen kann, dafür hat in den vergangenen Monaten die von STADTTOR organisierte Reihe von Diskussionveranstaltungen ein ausgezeichnetes Vorbild gegeben.