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Hardt-Waltherr Hämer und die
....Behutsame Stadterneuerung....
 

Helga Fassbinder


in: Kiez-Geschichten. Historische Hefte zum Kiez am Klausenerplatz, Heft 4, Berlin 2012 Kiezbündnis Klausenerplatz e.V. www.klausenerplatz.de


Die Aktivitäten H.W. Hämers im Bereich von Stadtplanung und Wohnungsbau erstrecken sich über ein halbes Jahrhundert. Sie widerspiegeln die Planungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland auf eine besondere Weise: Wohl kein anderer Architekt in Deutschland war so wie Hämer in vorderster Front involviert in den mühsamen Prozess, das Denken über Planen und Bauen den Erfordernissen einer zunehmend komplexeren und dynamischeren städtischen Wirklichkeit anzupassen und eine dementsprechende Ergänzung, Flexibilisierung und Demokratisierung des Regelsystems der Planung gebauter Strukturen durchzusetzen. Hämer ging es, trotz seiner fachlichen Herkunft und Verankerung als Architekt immer auch gleichzeitig um die Stadt als Ganzes, und zwar sowohl in ihrer ästhetischen als auch in ihrer sozialen Dimension. Schon zu dem Projekt Kurfürstendamm 1953, noch in seiner Studentenzeit, wird als Besonderheit vermerkt, dass er den Kurfürstendamm in der Struktur seiner Bevölkerung und ebenso in verkehrstechnischer und in baulich Hinsicht untersucht hat. Für ihn war ganz offensichtlich von Anfang an deutlich, was sich in der Planungsgeschichte der Bundesrepublik im generellen nur langsam durchgesetzt hat: dass der planerische und bauliche Umgang mit der bestehenden Stadt einen Eingriff in ein lebendiges Gefüge und nicht in eine tote Baumasse bedeutet. Aus dieser Haltung heraus hat er schon in der 2. Hälfte der 60er Jahre gegen Abrisspläne opponiert und Alternativen zum Erhalt der vorhandenen Strukturen vorgelegt - zu einem Zeitpunkt, zu dem Abriss noch zur gängigen Praxis unter Stadtplanern gehörte, und wegen der angeblich größeren kreativen Freiheit bei Architekten auf offene Ohren stieß. Hämer hingegen hat im Bestand nie eine Beeinträchtigung von entwerferischer Kreativität gesehen. Sieben Jahre später, 1974 hatte er mit dem Projekt Klausener Platz der Fachwelt vorgeführt, dass eine behutsame Erneuerung von baulichen Beständen des ausgehenden 19. Jhd. nicht allein kostengünstiger ist, sondern auch eine subtile und ästhetisch feinsinnige Wiederbelebung von Stadt sein kann, die das vorhandene soziale Gefüge intakt erhält. Noch ein weiteres Jahrzehnt später in den 80er Jahren konnte er als Direktor der Altbau-IBA auch exzellente architektonische Beispiele für Neubauten im Bestand von namhaften Architekten mit ähnlichen Ideen über Architektur und Stadt präsentieren, die internationale Aufmerksamkeit hervorriefen, wie etwa die Bauten von H.+I. Baller und A.Siza in Berlin-Kreuzberg, die sich harmonisch in den baulichen und sozialen Kontext einfügen und gleichzeitig gestalterische Innovationen darstellen. Seine Projekte und Aktivitäten, Meilensteine der behutsamen Stadterneuerung, lagen für Hämer keineswegs auf einem Königsweg - es war ein langer Marsch gegen Widerstände aller Art durchzustehen, der viel Mut, Durchhaltevermögen und Kampfgeist erforderte.

 

'Behutsame Stadterneuerung' ist Stadtplanung im Bestand

Behutsame Stadterneuerung ist heute ein gängiger Begriff; jüngere Stadtplaner und Architekten können sich kaum noch vorstellen, wieviel Anstrengung nötig war, um eine solche Vorgehensweise überhaupt zu ermöglichen. Es bedurfte insgesamt zweier Jahrzehnte, bis sich das auf Neubau getrimmte deutsche Planungssystem auf den Fall der Erhaltung von vorhandenen Bauten eingestellt hatte und dies in angemessener Weise regelte.

Stadtplanung hat es ja vor allem mit der juristischen Festlegung dessen zu tun, was sein darf und was wie genutzt oder verändert werden kann. Erst in einem so festgelegten Rahmen ist Kreativität gefragt, darf gedacht werden, können Konzepte entwickelt und können konkrete Pläne gemacht werden - Pläne, die auch Chancen auf Realisierung haben.

Stadtplanung im Bestand hat es aber obendrein nicht mit einer willfährigen Ausgangslage zu tun, die der Planer und der Architekt nur ordnen und gestalten muss. Es ist vielmehr die schwierige Kunst gefragt, einer Vielzahl von autonomen Akteuren, von denen jeder seine eigenen Interessen und Zielsetzungen hat, sein eigenes Tempo von Handeln verfolgt, seine eigenen Bezugsysteme besitzt - diesen autonomen Individuen eine gemeinsame Vision schmackhaft zu machen, für die sie ihre individuelle Orientierung anzupassen oder gar aufzugeben bereit sind. Es geht also darum, die Nasen in die gleich Richtung zu lenken und die Bereitschaft zu wecken, für ein gemeinsames Ziel Kompromisse zu schlie§en: das ist ein wesentlicher Teil der Kunst 'Stadtplanung'. Stadtplanung regelt die Nutzung des städtischen Bodens, den all diese so verschiedenartigen Akteure miteinander teilen, und sie legt Qualitätsmaßstäbe fest: Licht, Luft und Sonne wurden nach langen Jahrzehnten schlechter Erfahrung mit einem zu großen Spielraum für individuelles Handeln von Hauseigentümern und Investoren zu einer kollektiven Qualitätsvorstellung, und diese Qualitäten wurden schließich - auch dies ein Prozess über Jahrzehnte - in einem festen Regelsystem verankert, an das sich bauliche und städtebauliche Maßnahmen anzupassen hatten. Das Bundesbaugesetz von 1960 war der Schlussstein dieser Entwicklung - und bei seiner Verabschiedung auch schon wieder sogleich die Grundlage für ein neues Problem gelegt: jede allgemein gültige QualitŠtsnorm ist ein Korsett für die Vielfalt des Lebens. Als man sich in der 2. Hälfte der 60er Jahre in vielen Städten an die Modernisierung und funktionelle Anpassung der Innenstädte machte, war Abriss und Neubau der vorrangige Gedanke - auf Neubau war das Regelsystem ausgelegt, Neubau konnte die gesetzlich festgelegten Qualitätsnormen garantieren. Neubau konnte den Investoren höchst mögliche Renditen durch maximalisierte Bodennutzung garantieren, den Architekten kreativen Freiraum bescheren und den Kommunalpolitikern und ihren Wählern die Vorstellung vermitteln, dass an der Verbesserung der Qualität der gebauten Umgebung gearbeitet wird. Folge: Kahlschlagsanierung.

 

Eine euopäische Protestbewegung in Sachen Stadterneuerung

Anders als in den früheren Epochen von großflächigem Abbruch und Neubau des 19.Jhds war jedoch inzwischen die Wohnbevölkerung und waren vor allem auch sozial engagierte Studenten, junge Architekten und Stadtplaner nicht mehr bereit, solche Kahlschlagplanungen hinzunehmen. Über ganz Mitteleuropa zog Ende der 60er Jahre eine Welle von Protestaktionen. Die Crux der Proteste war freilich, dass ihre Behauptung, es gäbe eine sinnvollere Alternative, nämlich eben die einer behutsamen, erhaltenden Erneuerung, des praktischen Beweises entbehrte; schlimmer noch, diese Alternative verstieß an allen Ecken und Kanten gegen die Bauvorschriften, die so exakt regelten, wie Qualität aussieht, wie groß ein WC, eine Tür, wie breit ein Schlafzimmer etc. sein muss, sollte es genehmigt und die Renovierung gefördert werden. In Hämer fand diese Protestbewegung einen Kombattanten aus der Generation etablierter Architekten - er war der weiße Rabe seiner Generation: Er vertrat die Argumente der Ästhetik zur Verteidigung der alten Gebäude ebenso wie das Argument, keine vorhandenen sozialen Strukturen durch Umsiedlung zu zerstören. Er hatte die Courage, sich bei Auftraggebern und Behörden unbeliebt zu machen; und er hatte die Fähigkeit, einem Volkstribun gleich, eine Öffentlichkeit für diese Ideen zu begeistern und wichtige Entscheidungsträger zu gewinnen, die seine Projekte als Experimente ermöglichten - so in Berlin den Stadtbaudirektor Hans Christian Müller, der Hämers Projekte mit distanziertem Wohlwollen bedachte und ihm immer wieder Handlungsspielraum verschaffte. Hämer nahm somit eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung der behutsamen Stadterneuerung ein: er konnte in seinen Projekten konkrete Gegenbeweise gegen die Rationalität der Abriss-Neubau-Lösung liefern. Als praktizierender Architekt, der nicht unbedeutende Aufträge erhielt, war er in der Situation, die Behauptung, eine behutsame, sozial verträgliche Erneuerung sei die kostenguunstigere Alternative, auch faktisch zu beweisen. Unerschrocken, kämpferisch und hartnäckig setzte er für seine Projekte diese Position gegen alle Widerstände von Wohnungsbaugesellschaften und Behörden durch und verteidigte sie über deren gesamten Verlauf hinweg. Die beiden Modellprojekte Putbusser Strasse und Block 118 Klausener Platz sind Paradebeispiele hierfür. Sie brachten den großen Durchbruch, sie wurden zum Meilenstein in der Geschichte der deutschen Stadterneuerung und weit über Berlin hinaus bekannt. Das ästhetisch so gelungene Projekt des Blocks 118 erhielt 1978 die Goldmedaille im Bundeswettbewerb Stadtgestalt und Denkmalschutz, der Block wurde zum Mekka für lernwillige Stadtplaner und Architekten.

Beide Projekte waren nur unter der Flagge des Experiments realisierbar gewesen, aber aus den Lehren dieser Experimente konnten schließlich Elemente einer Revision der Bauordnungsbestimmungen herausgefiltert werden, und hinsichtlich des dabei angewendeten partizipativen Verfahrens fanden sie 1976 ihren Niederschlag in der Novellierung des Städtebaufšrderungsgesetzes. Es war nicht zuletzt dem Erfolg der beiden Modell-Projekte zu verdanken, dass Berlin 1978 erstmals in der Geschichte der Internationalen Bauausstellungen das Thema Altbauerneuerung aufgriff und gleichberechtigt neben das klassische Architekturthema 'Neubau' stellte. Hämer wurde ab 1978 die Leitung des Teils 'Altbau' übertragen. Das gab ihm die Gelegenheit, zusammen mit engagierten jungen Architekten und Stadtplanern die Erkenntnisse seiner Projekte auszubauen und sie anzureichern mit Konzepten und Erfahrungen, die anderswo entwickelt worden waren, so der Stadterneuerung in Rotterdam mit ihrem Motto 'Bauen fürs Quartier' und ihrer radikalen Bewohnermehrheit bei den Projektgruppen - sie stand für vieles in der Altbau-IBA Pate.

Der Altbau-IBA kam vor allem auch Hämers komplexe Auffassung von Stadt und Architektur und seine Offenheit für neue Entwicklungen zugute: es entstand unter seiner Ägide eine immense Palette von Innovationen - vom Planungsverfahren bis zu baubiologischen Neuerungen floss hier nahezu alles an sozialen, planerischen und baulichen Innovationen ein, womit in Europa zu dieser Zeit erfolgreich experimentiert wurde. Die Altbau-IBA wurde so zu einer Demonstration einer neuen Baukultur im Umgang mit der bestehenden Stadt. Die behutsame Stadterneuerung, festgelegt in 12 Grundsätzen, erhielt schließlich selbst ihre offizielle Weihe: 1983 wurden die 12 Grundsätze vom Berliner Abgeordnetenhaus 'zustimmend zur Kenntnis' genommen.

 

Foto: Kiezbündnis Klausenerplatz e.V.