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Planungskompetenz - Entwurfskompetenz - Betroffenenkompetenz.
Überlegungen zur Klärung verwirrender Verhältnisse.

Helga Fassbinder


Beitrag zum Symposium "StadtGmbH", Österreichische Gesellschaft für Architektur. Wien 8.-10. Nov.96
In: UmBau 15/16, pp. 48-57, Wien, Dez.1997


Keine Berufgruppe bleibt verschont von den tiefgreifenden Veränderungen, denen wir gegenwärtig unterworfen sind, auch Architekten nicht. Aber vielleicht treffen die Veränderungen bei wenigen so ins Herz ihres Selbstverständnisses wie bei eben den Architekten. Generationenlang fühlten sie sich verantwortlich für alles, was mit der baulich-räumlichen Gestaltung unserer Umwelt zusammenhing. Mehr noch: Sie sahen darin nicht nur eine gestalterische Aufgabe, losgelöst von den Menschen, die ihre Bauwerke und Städte bewohnten. Sie fühlten sich auch verantwortlich für das Wohl und Weh der Menschen wie sonst höchstens noch Mediziner und Politiker es von Berufs wegen tun. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich Architekten als die zentralen Akteure des Geschehens, quasi als die Dirigenten des gesamten Planungs- und Bauprozesses betrachteten.

Die Zeiten, in denen die gesellschaftliche Realität Nährboden für eine solche Selbstinterpretation bot, sind freilich inzwischen vorbei. Endgültig vorbei. Hierüber gehen meine folgenden Ausführungen. Es sind drei inhaltlich miteinander verschränkte Fragen, die hier bedacht werden wollen und drei Tendenzen, die ich meine ausmachen zu können:

- die Veränderung der Rollen und der Organisationsform der verschiedenen Akteure des Planungs- und Bauprozesses;

- neue Formen der Planung als Rahmen für eine gleichberechtigte Teilnahme auch der Nutzer am Planungsprozeß, eine Planung, die man am besten als kooperative Planung bezeichnen kann; und

- die Folgen für die Rolle der Architekten: einerseits eine Akzentuierung ihrer Aufgabe als Entwerfer in einem arbeitsteiligen Prozeß, andererseits eine Auffächerung anverwandter Kenntnisgebiete des Planens und Bauens zu eigenständigen Berufsbildern.

Das sind abendfüllende Themen - doch keine Angst: Ich werde Sie nicht mit langen und umständlichen Ausführungen beanspruchen, ich werde meine Vorstellungen hierüber quasi im staccato vortragen, in thesenhafter Kurzfassung.

 

Veränderung der Rollen und Organisationsformen im Bau- und Planungsprozess

Ich beginne mit einer bekannten Geschichte aus dem ersten Themenfeld, dem Verhältnis von Architekten und Bürgern. Dieses Verhältnis war von seiten der Fachleute von alters her von einer ausgesprochen paternalistischen Haltung geprägt. Die Architekten waren überzeugt davon, besser imstande zu sein als je ihre Klienten, anzugeben was diesen gut tut; und sie waren natürlich allemal tief davon überzeugt, daß nur sie als Fachleute imstande seien, Lösungen zu entwickeln. Damit hatten sie auch recht - jedenfalls etliche Generationen lang. Denn man muß sich vor Augen halten, daß die 'Bürger' in den zwanziger Jahren, jener Zeit, in der die Architekten sie in ihrer Breite als Klientel entdeckten, noch keineswegs daran gewöhnt waren, Fachleute zu beauftragen, diesen ihre Wünsche darzulegen und mit ihnen gemeinsam um die beste aller möglichen Lösungen zu ringen. Das hatten bis dahin nur die obersten Schichten der bürgerlichen Gesellschaft praktiziert. Die kleineren Leute orientierten sich bestenfalls am Lebenstil der da 'oben' - unbesehen, ob das nun, in die Realität ihres Budgets umgesetzt, auch eine gute Lösung darstellte. So kamen die kleinen, mit Möbeln und Plüsch überfüllten Wohnungen zustande, in denen sich ihre Bewohner räumliche sogar noch weiter einschränkten, um mit einer allzeit vorzeigbaren 'guten Stube' voll mit Nippes und Spitzenbesatz ebenfalls einen 'Salon' vorweisen zu können. Für sie wurden die Architekten des Neuen Bauens zu Erlösern: Der Durchbruch der neuen Sachlichkeit beseitigte diese Art unsinniger kleinbürgerlicher Imitationen eines großbürgerlich Lebensstils und setzte neue Leitbilder und Normen, die einen Mindestqualitätsstandard für gute Wohnverhältnisse der unteren Stände festlegten. Das was uns heute eine selbstverständliche Basis von Architektur und Städtebau erscheint, ist dieser paternalistischen Grundeinstellung unserer fachlichen Vorfahren zu geschuldet. Die Gesellschaft dankte es ihnen mit einem ungeheuren Prestige-Zufluß. Die Jahrzehnte des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit mit ihrem bis weit in die 60er Jahre hineinreichenden Bauboom trugen stetig weiter zur gesellschaftlichen Hochachtung bei: Architekt wurde zum Traumberuf, dem nur noch der Herr Doktor den Rang ablaufen konnte.

Nun ruht der Mensch sich gern auf seinen Lorbern aus. Diese Weisheit gilt auch für Architekten. Die Zeiten änderten sich, nicht aber Selbstbild der Profession. Erfolg, ein gutes Image und positive Resonanz auf ihren 'Führungsanspruch' über viele Jahrzehnte hinweg machten es ihnen schwer, gleichzeitig ihre Sinne scharf zu halten für eine neue Entwicklung bei ihrer Klientel. Eine Entwicklung, der sie an und für sich sicherlich zugejubelt hätten, wenn sie zu ihrer Wahrnehmung durchgedrungen wäre: die wachsende Mündigkeit der Bürger. So musste es dazu kommen, daß die meisten Architekten dieses Faktum viel zu spät und dann erst aufgeschreckt durch Bürgerproteste entdeckten. Das Resultat war eine eigentlich unnötige und widersinnige Konfrontation, bei der sich der alte verantwortungsvolle paternalistische Bezug in ein teilweise geradezu polarisiertes Verhältnis kehrte. Diese Konfrontation wurde kennzeichnend für die siebziger und achtziger Jahre.

Heute sind wir nun dabei, in eine neue Ärea des Verhältnisses von Architekten, Stadtplanern und ihren Bürgern zu treten. Die alte Dichotomie beginnt zu verblassen. Wie kommt es dazu?

Der verspäteten Einsicht, daß Architekten zu einem neuen Verhältnis des Dialogs mit Bürgern finden müssen, haben einige Umstände nachgeholfen, die die Rollen im Planungs- und Bauprozeß tangieren. Denn das Verhältnis der verschiedenen Akteure zueinander und voran die Rolle von Architekten im Planungsprozeß haben sich verändert. Architekten stehen in vielen, vor allem in den komplexeren oder grösseren Projekten nicht mehr an der Spitze der Hierarchie der beteiligten Fachleute des Planungs-, Entwurfs- und Ausführungsprozesses. Sie erfüllen eine eingeschränktere Funktion. Im traditionell organisierten Projekten waren (und sind) sie die Dirigenten des gesamten Prozesses, umfassend verantwortlich beauftragt vom jeweiligen Bauherrn. Inzwischen sind nun eine Anzahl anderer Fachleute ins Spiel gekommen, in den letzten Jahren selbst Fachleute, die spezialisiert sind in der Koordination des Gesamtprozesses. Architekten geraten mehr und mehr in die Situation, anderen Akteuren gleichgestellt zu werden und zu fungieren als die Spezialisten für räumliche Konzepte und architektonisch Gestaltung. Dies mag sicherlich die wichtigste Rolle im gesamten Spiel sein. Es ist aber dennoch nicht mehr die übergeordnete.

Stellen wir die Frage: warum ist das so gekommen? Weil der Kommerz die Oberhand gewinnt? Weil es immer mehr um Kosteneffizienz geht? Das spielt wohl eine wesentliche Rolle. Ein rationaler Grund ist freilich auch, daß das Wissen und Können, das für einen Bauprozeß erforderlich ist, inzwischen in hohem Maß differenziert ist und verteilt liegt über eine Vielzahl von Fachleuten, die in einzelnen Fragen spezialisiert sind. Dazu gehören heute nicht mehr allein die klassischen technischen Spezialfächer - wie Statik, Konstruktion, Installationen, Heizungstechnik etc. - die der Architekt noch gut koordinieren konnte. Es sind, wenn man einmal vom Wohnungsbau absieht, im Laufe der Jahrzehnte stets weitere Kenntnisfelder hinzugekommen. So sind bei großen Projekten Aspekte wie die Organisation des gesamten Ablaufs des Projekts, die Koordination der Spezialisten, das Verhältnis zu Behörde und Geldgeber etc. Bereiche für hochspezialisiertes Fachwissen geworden, die der Architekt garnicht mehr optimal abdecken könnte, oder vielleicht auch wollte.

Das alles ist übrigens auch nicht eigentlich neu. Rem Koolhaas hat in seinem berühmten Buch 'Delirous New York' gezeigt, wie bereits beim Bau des Rockefeller Centers ein Team aus Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen operierte, das alle Fragen von Programm, Nutzung, technischer Ausarbeitung und Abwicklung des Bauprozesses aufs genaueste untersuchte und systematisch Lösungen erarbeitete. Der Wolkenkratzer wurde zum Symbol des Teamwork-approaches.

Eine Untersuchung des Bauprozesses von 100 Bürokomplexen in den Niederlanden, die in der Periode von 1989-93 gebaut wurden(1), belegt diese Tendenz für die jüngste Zeit: sie zeigt, dass der Anteil von Bauten, die mit einem herkömmlichen Bauprozeß gebaut wurden, von 39% in den Jahren 1986-89, auf 56% in den Jahren 1990-93 anstieg.

 

Abbildung 1:
Formen von Kooperationsverbänden bei der Realisierung von Burobauten in den Niederlanden (aus: Thijhuis, Maas und Dowidar, Investigation of Building Organizational Forms, Eindhoven 1994)

 

Eine an der TUE abgeschlossene Dissertation(2) belegt zudem, wie die Rolle des Architekten sich verschiebt von einer direkt dem Bauherrn unter-, den anderen Ausführenden aber übergeordneten Funktion hin zu einer gleichgeordneten.FONT>

Abbildung 2:

Schema der traditionellen Kooperationsform in Deutschland. (aus: Wilco Tijhuis, Bouwers aan de slag of in de slag. Lessen uit internationale samenwerking. Eindhoven 1996)

Abbildung 3:

Schemata von Organisationsformen, die nach Tijhuis in den letzten Jahren stark an Boden gewonnen haben (aus: Tijhuis, a.a.O.)

Dieses neue Verhältnis würde ich charakterisieren als einen kooperativen Planungs- und Bauprozess. Ein so organisierter Prozess verschafft den Spezialisten zweifelsohne einen Bedeutungszuwachs. Sie treffen über die gemeinsam zu lösende Aufgabe in einem Dialogverfahren als horizontal kooperierenden Akteure aufeinander - ein gänzlich anders zu organisierendes Verfahren, dessen verzögernde interative Momente durch die Verkürzung der Kommunikationslinien ausgeglichen wird. Insgesamt ein hochinteressantes Thema für Theoretiker und Praktiker von Planung und Baumanagement.

 

Formen kooperativer Planung als Rahmen für eine gleichbereichtigte Teilnahme der Nutzer

Wenn man ausgeht von dieser skizzierten Tendenz als von einem Faktum, das sich zunehmend im Bauen durchsetzen wird, gibt es vieles zu bedenken. Ein Aspekt, der uns hier besonders interessiert, betrifft die Bürger und die Architekten. Man kann unschwer argumentieren, dass in eine solche Runde der Kooperation von Fachleuten mit Spezialwissen auch die sog. Bürger gehören. Denn sie, die späteren Nutzer, ebenso wie auch die Anrainer, verfügen in der Tat über ein Erfahrungswissen aus ihrem Berufs- oder Lebensalltag, das einen Schatz unerlässlichen Spezialwissens für die anderen Akteure, speziell für die Architekten darstellt, ein Wissen, das sonst nur in generalisierter Fassung und somit entsprechend vergröbert aus Büchern oder über Sozialwissenschaftler angetragen werden kann.
Was sich anbahnen könnte, wäre ein neues Verhältnis von Architekten zu ihrer alten Klientel, den Bürgern. Es wäre ein kooperatives Verhältnis, bei dem die Nutzer ihr Erfahrungswissen einbringen und die Architekten diesen Schatz entwerfend in räumliche Gestaltung umsetzen. Das aber impliziert: Zu den Spezialisten würden auf diese Weise jetzt auch die der Nutzung gezählt werden - die späteren Bewohner, falls es sich um Wohnungsbau und Wohnviertel handelt; die späteren Nutzer gewerblicher Bauten oder solche der öffentlichen Infrastruktur - ein Vorgang, der ja auch beim Bau von Kankenhäusern, Schulen bis Opernhäusern vielfach vorkommt.

Die Nutzer als Aktoren im Planungsprozess wird auf diese Weise ein eindeutiger Kompetenzbereich zugebilligt, den in der Vergangenheit die Architekten ausfüllten, die ja stellvertretend die Rolle der Nutzer mit übernommen hatten. Erneut Anlass zu Konflikt zwischen beiden Parteien? Wie sollte die Grenzlinie der Kompetenz definiert werden, was sollten die Architekten 'abgeben'?

Man könnte als Kurzformel sagen: in allen funktionalen Fragen haben Nutzer eine hohe Kompetenz - sie sollten aber offen sein für die Argumente der professionals und ihre eigene Position vielleicht im Sinne eines qualifizierten Vorschlagsrechts als Grundregel verstehen. In allen gestalterischen Fragen liegt die Kompetenz eindeutig bei den Architekten und (bei städtebaulichen Fragestellungen) den Städtebauern.

Wenn diese Kompetenzverteilung als Grobmuster akzeptiert würde, könnten Formen praktiziert werden, mit denen die verschiedenen Akteure in ein gleichbereichtigtes Gespräch treten - es wäre die Basis einer kooperative Planung im oben bezeichneten Sinn.

Nota bene: Die Formen kooperativer Planung beinhalten mehr als die übliche Bürgerbeteiligung, bei der der Block der klassischen Aktoren im Grunde nicht aufgeweicht wird, da sie nach wie vor Lösungen weitgehend untereinander aushandeln und Bürger (Nutzer) ihnen quasi als Gegenpartei gegenüberstehen. Die neuen Formen kooperativer Planung hingegen können (im Idealfall) eine Art Verhandlungsplanung darstellen, an der die Aktoren unter Einschluss der Nutzer gleichbereichtigt beteiligt sind, eine jede Aktorengruppe freilich im Rahmen ihres Kompetenzbereichs.

Das besagt auch, dass Debatten über Gestaltung nicht unter dem Nenner 'Bürgerbeteiligung' angezettelt werden sollten. Einer öffentlichen Debatte unter Einschluss von Bürgern und Politikern dürften - neben funktionalen und sozialpolitischen Fragen - nur allgemeine Aussagen und Zielsetzungen, etwa über den Charakter der Stadt in der Zukunft, anheimgestellt werden, die dann einen Rahmen für die gestalterischen Fragen abgeben können.

Fazit:

Diejenigen, die in der Vergangenheit pauschal unter dem Wort 'Bürger' firmierten, stehen nun an der Schwelle eines neuen Zeitalter, in dem sie, differenziert nach ihren je spezifischen Erfahrungswelten und Bezügen zum Bauwerk, aus dieser Kenntnis heraus mitarbeiten. Wenn auch unter anderen Begriffen, nämlich solchen der Demokratietheorie, haben Bürger seit Jahren um diese Anerkennung gekämpft. Wie immer in der Geschichte kommt das Zugeständnis nun nicht allein auf politischen oder ideologischen Füssen daher; es wird gestützt durch eine pragmatische Krücke: die praktische Vernunft. Denn inwischen ist die praktische Sinnhaftigkeit der Forderung nach qualifizierter Mitsprache kaum noch umstritten - was allerdings nicht heisst, daß sie bereits allgemein gängige Praxis wäre. Wie immer bedarf es bei der Einführung grosser Veränderungen eines langen Zeitraums - und nicht immer und überall ist alles nach dem neuen Strickmuster gut gelöst. Bekanntlich sind Bürgergruppen nicht eo ipso gut und Fachleute, Politiker und Investoren böse. Man denke etwa an diejenigen Initiativen, die die Verteidigung oder Durchsetzung privilegierter Interessen betreiben gegen ein sozial orientiertes Gesamtwohl...
Gleichviel: Der wesentliche 'theoretische' Schritt, der in den letzten Jahren gemacht worden ist, ist dieser: der Planungs- und Bauprozess wird als eine Kette von Aktionen gesehen, bei der eine Vielzahl von Akteuren zusammenwirken, jeder in seiner spezifischen Rolle und von seinem eigenen Interessenfeld heraus. Zu diesen Akteuren gehören die Nutzer ebenso wie die anderen, die aufgrund von fachlicher oder finanzieller Kompetenz oder aufgrund politischer Entscheidungsbefugnis mit beteiligt sind. Dass hierfür neue Organisationsformen der Kooperation gefunden werden müssen, ist evident. Sie werden bereits an vielen Orten experimentell erprobt.

Die Partizipationsfrage in Sachen Architektur und Gestaltung sollte damit eigentlich nun auf ihre wahre Dimension zurückgebracht sein. Nicht mehr zwischen Architekten und Bürgern liegen die grossen Konflikte. Die heutige Hauptfrage ist die der Neuordnung des Planungs- und Bauprozesses zu einem integrierten Prozess mit horizontaler organisatorischer Struktur und breit geteilter Verantwortlichkeit. Nutzer - egal welcher Art der Nutzung und welcher sozialen Herkunft - gehören selbstverständlich in die Reihe der Akteure dieses Prozesses. Sie müssen mitsprechen können auf dem Terrein, auf dem sie kompetent sind: ihrer Nutzererfahrung.

Die alte Kontroverse sollte nicht nur aufgelöst sein - ich meine, dass die Zeit reif ist für ein neues Bündnis zwischen Architekten und Nutzern. Die zentralen Konflikte, die die Architekten auszufechten haben, liegen nämlich anderswo: Sie haben sich gegen eine totale Funktionalisierung in einem kommerzialisierten Vorgang zu wehren, dem eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die das Bauen immer und zu allen Zeiten beinhaltet hat, immer mehr entschwindet. In dem Masse, in dem auch die Politiker nur zu Umsetzungsinstanzen eines wirtschaftlichen Wachtstumsprogramms funktionalisiert werden, sind beide, Architekten und Bürger - letztere in ihrer ganzen, nun anerkannten Differenziertheit - aufgerufen, dem entgegenzutreten. Die einen aus ihrer neuen zivilgesellschaftlicher Verantwortung heraus(4), die anderen wieder anknüpfend an ihre alte paternalistische Rolle, angesiedelt nun auf einem neuen Niveau.

 

Einige Bemerkungen zur Akzentuierung der Rolle der Architekten als Entwerfer in einem arbeitsteiligen Planungs- und Bauprozess.

Was heißt diese Entwicklung für die Rolle und das Selbstbild der Architekten? Für die Architekten gilt es - und darin liegt die eigentliche Krise - die Diskrepanz zwischen Berufsideologie und Berufswirklichkeit zu überwinden. Um zu der oben skizzierten verantwortungsvollen Allianz zu finden, müssen Architekten zuvor den heutigen Realitäten des modernen Bauprozesses ins Auge sehen und - wenn man es hochtrabend ausdrücken will: zu einem Selbstbild finden, das dieser Realität gerecht wird.
Damit geht aber auch eine Besinnung auf den Kern ihrer Aufgabe einher. Die Architekten können ihre Bedeutung als Berufsgruppe nur dann auf Dauer auch in der Breite ihrer Mitglieder aufrechterhalten, wenn sie ihre eigenen Aufgaben schärfer formulieren und bessser erfüllen. Sie müssen sich auf den Kern ihres Faches konzentrieren und darin eine eindeutige Qualifikation von hohem Niveau erreichen. Was heißt das? Architekten sind keine halbgaren Manager, Konstrukteure, Finanzberater etc. Sie sind Fachleute für Fragen von Entwurf und Gestaltung von Gebäuden und Stadträumen. Sie sind die Entwerfer der zukünftigen räumlichen Welt. Hierin liegt ihre gesellschaftliche Verantwortung - ganz im Sinne der zwanziger Jahre. Dafür müssen sie allerding dann auch optimal befähigt sein.

An dieser Stelle will ich explizit die Ausbildungsstätten ansprechen. Alles oben gesagte über den zweischneidigen Einfluss von Erfolg als redardierendes Moment in der Entwicklung gilt auch für die Architekturschulen, die Universitäten und Akademien. Das Ausbildungskonzept der meisten von ihnen orientiert sich immer noch im wesentlichen an einem Berufsbild der Vergangenheit - wobei das Beharrungsvermögen von institutionellen Strukturen noch einmal erschwerend auf allen Veränderungsintentionen liegt.

Was wäre der Kern einer solchen Veränderung? Die arbeitsteilige Differenzierung des Bauprozesses muss sich in den Spezialisierungen des Studiums wiederspiegeln. Nicht alle, die ein Architektur-Studium beginnen, sind geboren und begabt als der Architekt/die Architektin, deren hohe Qualifikation ich oben ansprach. Es wäre aber verkehrt, all diejenigen, bei denen sich eher eine Begabung in andere Richtungen des Planungs- und Bauprozesses, z.B. etwa auf Konstruktion oder Management herauskristallisiert, ins Bauingenieurwesen abschieben zu wollen. Ich meine - und spreche aus der Erfahrung der Veränderung der Architektur-Studiengänge in den Niederlanden in den 80er Jahren - dass die Architekturausbildung sich differenzieren muss, wenn sie den Anspruch eines hohen Niveaus von Ausbildung aufrechterhalten will. Solche Bereiche gibt es inzwischen auch in der Praxis breit ausdifferenziert: Projektmanagement, Installationen, Wohnungsverwaltung, Facility Management - um nur einige spezialisierte Kenntnisfelder zu nennen, die inzwischen zu eigenständigen Fachqualifikationen im Bau- und Instandhaltungsprozess unserer gebauten Umgebung ausgewachsen sind.

Wenn die Architektur-Schulen sich dazu finden können, zu einer breiteren Differenzierung ihrer Vertiefungsrichtungen überzugehen, könnte das auch heissen, dass die entwerferische Vertiefungsrichtung im Architektur-Studium viel selektiver vorgehen kann und nur die entwerferisch wirklich begabten Studierenden dazu ermutigt, sich in diese Richtung zu entwickeln. Also noch ein Fazit: Eine Verbesserung der Architektur und des Städtebaus fängt auch mit einer gründlichen Ausbildungsreform des Architekturstudiums an: Wenn Architekten in der Breite der Berufsgruppe ihre gestalterische Autorität zurückgewinnen, wird vielleicht auch das Phänomen verschwinden, dass jedermann, von Bürger bis Politiker sich berufen fühlt, mit hausgemachtem Geschmack die Gestalt von Städten bestimmen zu wollen.

Fussnoten:

1 Thijhuis, Maas und Dowidar, Investigation of building organizational forms, Eindhoven 1994)

2 Wilco Tijhuis, Bouwers aan de slag of in de slag. Lessen uit internationale samenwerking. Eindhoven 1996

3 s. Klaus Selle (Hg.), Planung als Kommunikation. Ebenso Helga Fassbinder, Kooperative Planung. Harburger Beiträge zur Stadtplanung Bd.8, Hamburg 1997

4 Da hier nicht der Ort ist, auf die gesellschaftstheoretische Dimension der neuen Rolle der Bürger einzugehen, die ich im Kontext der Civil Society-Theorie verorte, verweise ich auf meine Ausführungen in einer Wiener Publikation: Helga Fassbinder, Die Produktion der Zukunft. Wiener Stadtplanaung in der Zivilgesellschaft. in: Michael Häupl/Hannes Swoboda (ed.), Bleibt Wien Wien? Wien 1995 (ISBN 3-85439-155-2) S. 118-127