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Spielregeln für Stadterneuerer
 

Helga Fassbinder

 

Inhalt:

1 Vorab

2 Stadterneuerung als Lernprozess

3 Der schwierige Start ins Neuland der Stadterneuerung - die erste Phase des Lernprozesses

4 Der Lernprozess geht weiter - die zweite Phase der Stadterneuerung

5 Die vorlaeufig letzte Phase des Prozesses: die Rueckkehr der Stadtplanung

6 Formulierung von Erneuerungsplaenen aus der Interaktion zwischen staedtebaulicher Leitplanung und Quartiersplanung.

7 Hinweise auf als naechstes anstehende Aufgaben

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1 Vorab

Anders als bei der Stadterweiterung sind im Aktionsfeld der bestehenden Stadt die professionellen Aktoren, die Stadtplaner, Architekten, Investoren und Politiker, nicht unter sich. Planung und Investition stossen auf eine besetzte Welt aus differenzierten vorhandenen Nutzungen, die in Rechtsverhaeltnissen festgelegt sind und in Tradition, Kultur und Gewohnheit von Menschen ihre innere Verankerung haben. Hier haben es die Planer und Architekten nicht nur mit einer wehrlosen Natur zu tun sowie mit Grundbesitzern und Investoren, fuer die der Anreiz der potentiellen Wertsteigerung in der Regel genuegte, um sie hinter einen Plan zu scharen. Wenn die bestehende Stadt Objekt von planerischen Eingriffen ist, liegt die Sache anders: sie ist - allen individualisierenden Rechtsverhaeltnissen zum Trotz - in gewisser Weise gleichsam kollektives Eigentum: Um sie machen sich nicht nur die dort wohnenden und arbeitenden Buerger besorgt, sie ist auch Bestandteil der Identitaet der staedtischen Gemeinschaft und damit der Identitaet jedes einzelnen ihrer Buerger. Und dieser Bezug ist nicht unbedingt in erster Linie oekonomisch, er hat starke kulturhistorische und aesthetische Aspekte, wenn auch die wirtschaftliche Bluete der eigenen Stadt sicherlich mit ein Element der positiven Identifikation bildet.

Es hat lange gedauert, bis die Stadtplaner hinter ihren Zeichentischen das komplizierte Interessegeflecht in den Stadtvierteln begriffen und es haette noch laenger gedauert, wenn sich nicht in so vielen Staedten die von ihren Planungen potentiell betroffene Bevoelkerung so entschieden gegen die Perspektiven zur Wehr gesetzt haette, die ihnen durch die Planer verordnet wurden. Oft waren es dann die Stadtraete, die - nicht von der spezifischen deformation professionell der Stadtplaner in Mitleidenschaft gezogen - die Notwendigkeit begriffen, das bis dahin gaengige Planungsverfahren mit seiner Dominanz der Fachleute und Investoren zu ersetzen durch etwas anderes, etwas, dessen Inhalt und Vorgehensweise freilich zunaechst noch undeutlich war und nur tastend in einem muehsamen Tauziehen zwischen den professionals mit ihren erklaerten Planungszielen und ihrem oertlichen Widerpart aus Bewohnern und Nutzern Gestalt annahm. Es ist sicher nicht uebertrieben zu sagen, dass sich all das, was sich mittlerweile als erprobte Stadterneuerungsstrategie darstellt, herausgeschaelt hat aus einer Vielzahl von praktischen Erfahrungen vor Ort und quasi experimentell von unten entwickelt worden ist.

2 Stadterneuerung als Lernprozess

Der muehsame Lernprozess in Sachen "wie erneuere ich eine Stadt" laesst sich beschreiben mit einer Kette von Stadterneuerungsprojekten mit spektakulaeren Konflikten um Zielsetzung und Vorgehensweise. Ich will dies beispielhaft illustrieren an den Niederlanden - nicht nur, weil dies seit 15 Jahren meine fachliche Wahlheimat ist, sondern weil sich hier dieser Lernprozess besonders gradlinig entwickelt hat. (Zu erlaeutern, warum das so ist, wuerde hier zu weit fuehren, doch sei zumindest der besondere Umstaend genannt, dass in diesem Lande trotz aller oft heftigen Konfrontationen zwischen Buergern und ihren politischen und amtlichen Vertretern ein gewisses, grundlegendes wechselseitiges Vertrauen vorhanden ist, womit ich bereits die vielleicht wichtigste Voraussetzung fuer einen guten Gang der Dinge beim Erneuern der Staedte angesprochen habe (1).

Ich werde im folgenden den historischen Verlauf dieses Lernprozesses skizzieren und jeweils diejenigen der daraus gewonnen Erkenntnisse benennen, die m.E. allgemeine und damit auch heutige Gueltigkeit besitzen und die man quasi als die Spielregeln der Stadterneuerung bezeichnen koennte.

3. Der schwierige Start ins Neuland der Stadterneuerung - die erste Phase des Lernprozesses

Auch in den Niederlanden hatte der Zusammenprall zwischen Bewohnern und Fachleute zu Beginn der 70er Jahre, wie andernorts in Europa, zu heftigen Kaempfen gefuehrt. Aufgrund eines besonderen Umstands allerdings erwachte hier frueher als anderswo ein Gefuehl der Identifikation von breiten Kreisen der Stadtbuerger mit den innerstaedtischen Quartieren und verhalf den Planungsbetroffenen zu der so wichtigen Unterstuezung durch die oeffentliche Meinung. Eines der ersten grossen Stadterneuerungsprojekte sah den Abrisses eines Teils des mittelalterlichen Zentrums von Utrecht zugunsten eines Bahnhofs mit Einkaufszentrum vor. Die Realisierung dieses Projekts zu Beginn der 70er Jahre verursachte quasi einen nationalen Schock, der dazu fuehrte, dass von vielen eher die Bewohneraktivisten als Traeger oeffentlicher Belange gesehen wurde als die allzu forsch auf neue Zeiten zumarchierenden Stadtplanungsaemter. Der oeffentlichen Meinung jedenfalls erschien recht bald die Erhaltung bestehender baulicher und sozialer Strukturen wuenschenswerter als der Bau neuer glaeserner Palaeste von Banken, Versicherungen und Kaufhaeusern an deren Stelle. Die Losung "Bauen fuers Quartier" statt Abriss und Bewohnervertreibung gewann dementsprechend innerhalb weniger Jahre eine breite positive Resonanz.

Dieser einsichtigen Haltung breiter Kreise der Oeffentlichkeit leistete freilich ein besonderer Umstand Vorschub, der die allgemeine gesellschaftliche Situation gegen Mitte der 70er Jahre unterschied von der in der 2. Haelfte der 60er oder auch der heutigen. Der raeumliche Expansionsdruck der Stadtkerne hatte zu diesem Zeitpunkt bereits soweit abgenommen, dass die Allianz aus Bewohneraktivisten, Denkmalpflegern und kulturhistorisch orientierten Buergern nicht auf maechtigen und kapitalkraeftigen Widerstand stiess. Auch Kommunalpolitiker und in ihrem Kielsog schliesslich Stadtplaner in den Planungsaemtern (ihrerseits oft gedraengt und geschoben von juengeren, nachrueckenden Kollegen) verliessen ihre festgefuegten Vorstellungen von den Verfahrenseweisen und Prioritaeten der Planung und begannen mitzuarbeiten an der Entwicklung anderer Ziele und neuer Strukturen, die die in den Erneuerungsgebieten lebenden Menschen in den Mittelpunkt der Ueberlegungen stellen. So erhielt allmaehlich das Konzept der bewohnerorientierten Stadterneuerung Umrisse und Struktur. Und es war schliesslich wiederum eine der vertrauensbildenden Massnahmen zwischen Behoerden, Kommunalpolitik und Bewohnern, dass dieses Konzept des Bauen fuers Quartier in den Jahren, in denen die Grundzuege der Verfahrensweise der Stadterneuerung entwickelt wurden, Bestantteil offizieller Strategie wurde.

Dazu gehoerte, dass man den Bewohnern realen Einfluss auf die Bestimmung der Erneuerungsziele und auf den Ablauf des Verfahrens einraeumte. Das bedeutete ueber eine neue, nuancierte Denkweise ueber Planungsziele hinaus, auch eine neue Denkweise ueber die Rolle der Planer und Architekten selbst, die neben sich die mitdenkenden Adressaten ihrer Planungen akzeptieren muessten.

Und last not least verlangte dies einen veraenderten Ablauf im Entscheidungsprozess und andere Kompetenzverteilungen, die die traditionelle hierarchische Aemterstruktur umkrempelte und die Aufgabenverteilung zwischen Politik, Verwaltung und Oeffentlichkeit durcheinander warf. Hier wurde viel experimentiert, und jede Gemeinde entwickelte eigene Konzepte, abhaengig von der lokalen Tradition und dem vorfindlichen politischen Klima.

In dieser Phase war in den Niederlanden, aber auch darueber hinaus, Rotterdam eindeutig Schrittmacher. Im Gefolge seiner Vorgehensweise wurde Mitte der 70er Jahre Stueck fuer Stueck die Stadterneuerung in obigem Sinne verankert in Organisationsformen, im Planungsverfahren, im Subventionssystem und im juristischen Rahmen. (2)

Als Planungsorganisation wurde die dezentrale, mit Vertretern aller beteiligten Behoerden besetzte Projektgruppe institutionalisiert, eine Novitaet, die sich erst nach schweren Kaempfen in den Aemtern durchsetzen liess, und die heute in vielen europaeischen Laendern zur normalen Planungsform der Stadterneuerung geworden ist. Der Bewohnreinfluss wurde in Mitentscheidungsmodellen festgeschrieben, die von Gemeinde zu Gemeinde lokal differieren und so die jeweilige lokale politische Kultur widerspiegeln. In Rotterdam ging man selbst so weit, die Behoerdenvertreter in gewissem Umfang mit einem Entscheidungsmandat zu versehen und die Bewohnervertreter als gleichberechtigte, stimmberechtigte Mitglieder mit einer 51% Stimmenmehrheit zuzulassen.

Als Planungsverfahren wurde die suksessive Vorgehensweise entwickelt, die die Rueckkehr in die eigene Wohnung oder zumindest in eine Wohnung des Gebiets moeglich macht.


Und schliesslich wurden die oeffentlichen Foerderungsmittel so verwendet, dass der Verbleib der Bewohner im Gebiet auch fuer einkommensschwache Haushalte moeglich wurde.

Diese vielleicht kompliziert anmutende Strategie wurde zur gaengigen Praxis, ohne dass das Erneuerungstempo darunter gelitten haette. In wenigen Jahren lief die "Stadterneuerungsmaschine" in geoeltem Tempo. Damit war der Beweis erbracht, dass bewohnerorientiertes und partizipatives Erneuern war realisierbar und vereinbar mit den Zielsetzungen von Kommunalpolitikern und Stadtverwaltung ist. Mit Rotterdam an der Spitze waren Verfahrensweisen entwickelt worden, die radikal mit den tradierten Strukturen von Stadtplanungsaemtern brachen. Der Erfolg dieser Form der Erneuerung zeigte, dass dieses Modell imstande war, die wiederstreitenden Interessen in den Quartieren, aber auch der verschiedenen Aemter untereinander und die Querelen zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen in ein im allgemeinene fruchtbares Miteinander zu transformieren. Dass sich in Berlin die Internationale Bauaustellung bemuehte, dieses Modell zu uebernehmen und den Berliner Dimensionen anzupassen, mag dies illustrieren.((3)

Wenn man versucht, die Bilanz dieser ersten Periode zu machen, wird deutlich, dass in diesen stuermischen Pioniersjahren (die sich in den Niederlanden auf die Zeit zwischen 1970-75 zusammendraengte), die meisten der Grundprinzipien fuer eine gute, auf Konsenz zielende Erneuerung ausgearbeitet worden sind. Als unumstoesslich auch heute gueltig wuerde ich die folgenden "Spielregeln" nennen:

• Einrichtung gebietsbezogener, am besten auch im Gebiet stationierter Projektgruppen, die aus allen wichtigen beteiligten Ressortsbesetzt sind

• Mitsprache bzw. Miteintscheidung der Bewohner

• differenzierte, objektweise Festlegung der baulichen Eingriffe

• suksessives Verfahren

• Foerderungsmoeglichkeiten zur Ueberbrueckung von untragbaren finanziellen Belastungen bei finanziell schwachen Bewohnern

Kein absolutes Essential, aber sehr emfehlenswert fuer eine gute Kommunikation zwischen den Betroffenen und den Planern ist

• die Bereitstellung von professioneller Unterstuetzung fuer die Be-troffenen

Ein Erneuerungsprinzip, das in dieser ersten Phase in den Niederlanden eine grosse Rolle spielte, ist das bereits erwaehnte "Bauen fuer's Quartier" Damit ist postupiert, dass die Erneuerungsmassnahmen darauf abzielen sollen, der im Gebiet lebenden Bevoelkerung auf jeden Fall die Gelegenheit zu schaffen, auch nach der Erneuerung dort wohnen zu bleiben. Dieses Prinzip ist in den 80er Jahren von verschiedenen Seiten unter Beschuss geraten. Es wurde eingewendet, dass damit eine einseitige Bevoelkerungszusammenstellung festgeschrieben worden sei, und neue Potenzen der wirtschaftlichen und sozialen Regeneration ungenuegend Chance erhielten. Waehrend damit von mancher Seite explicit das soziale Upgrading propaiert wurde - ein immer noch umstrittenes und politisch nicht ganz salonfaehige Konzept - wurde von anderer Seite mehr der Akzent auf die natuerliche Mobilitaet gelegt: nicht jeder Haushalt will nach der Erneuerung zurueckkehren, und die Gemeinde kann dies mit beeinflussen durch attraktive Wohnangebote in anderen Quartieren. Auf diese Weise kann evtl. das Prinzip

keine Verdraengung von Bewohnern - Bauen fuer die ansaessigen Bewohner und Benutzer

gewahrt bleiben, ohne dass notwendig eine uebermaessige Konzentration von unteren Einkommensgruppen damit unabwendbare Folge ist. Die derzeitigen Erfahrungen weisen uebrigens aus, dass in den meisten Gebieten die naturwuechsigen Tendenzen des Upgrading beschraenkt sind. Lediglich in Gebieten mit hoher Lagegunst ist es erforderlich, gegensteuernd aufzutreten, um die Verdraengung der ansaessigen Bewohner zu verhindern.

4. Die vernachlaessigte aesthetische Dimmension: die Stadterneuerer entdecken Architektur und Staedtebau

Die Diskussion, die im vergangenen Jahrzehnt die Gemueter der Fachgenossen (im breiten Sinn) vielleicht am meisten erhitzt hat, war wohl die um die Postmoderne. Die Stadterneuerer hatten nicht wenig Vorwuerfe einzustecken: sie hatten sich nur um Bautechnik und Miethoehen gekuemmert, ohne die aesthetische Dimension ihrer Aktivitaeten zur Kenntnis zu nehmen. (5). Es ist sicher ein Verdienst dieser Vorwuerfe, dass die Stadterneuerer vielleicht zum ersten Mal und dann einigermassen erschreckt ihre architektonischen und staedtebaulichen Fruechte betrachteten. Und es spricht fuer die Zunft, dass viele selbstkritisch in sich gingen und den bisher kanonisierten Aspekten der Vorgehensweise neue Ueberlegungen hinzufuegten, die sich mit der Stadtgestalt und ihrer Interpretation durch die Erneuerungsmassnahmen beschaeftigten. Nicht zuletzt waren es wieder die Politiker, die mit dem richtigen Gespuer fuer Publikumswirksames hier nachgeholfen haben - und so ist es in den Niederlanden denn auch einem Politiker zu verdanken, dass die Stadterneuerung aufs neue mit einem spektakulaeren Konzept in den Brennpunkt des oeffentlichen Interesses rueckte - und Rotterdam seine Vorreiterrolle verlor. Der damalige Bausenator von Den Haag, Adrie Duivestijn, proklamierte die "Stadterneuerung als kulturelle Aktivitaet" und postulierte auch fuer die vernachlaessigten Gebiet eine "Quartierskultur" von erstem aesthetischem Rang als Erneuerungsziel. Zur Erneuerung eines der am meisten verwahrlosten Gebiete, das wegen seines heruntergekommenen Zustands und seiner immensen sozialen Probleme im ganzen Land eine traurige Beruehmtheit geniesst, heuerte er neben jungen niederlaendischen Architekten mit ausgesprochenem Formgefuehl auch den Portugiesen Alvaro Siza an - aus "erzieherischen Gruenden" fuer die eigene Architektenschaft. Denn Siza wusste mit den auslaendischen Familien, den Stiefkindern der Partizipation, ueber ihre Wohnwuensche zu reden und diese Wohnwuensche zu uebersetzen in eine Architektursprache von vorbildlichem Feingefuehl fuer den Charakter des Vorfindlichen.

Hieraus lassen sich zwei weitere weitere "Spielregel" der Stadterneuerung formulieren:

• Aufmerksamkeit fuer die stadtgestalterische Seite der Erneuerungsmassnahmen

sorgfaeltige Auswahl der Architekten nach Gestaltungsvermoegen, Gespuer fuers Vorhandene und der Faehigkeit zum Dialog mit den Buergern

6. Die vorlaeufig letzte Phase des Prozesses: die Rueckkehr der Stadtplanung

Selbst dem naiven Zeitungsleser duerfte durch seine taegliche Lektuere nicht verborgen geblieben sein, dass die technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Verschiebungen der 80er Jahren neue Raumansprueche geltend gemacht haben und sich nun, in den 90ern, diese Tendenzen aufgrund der politischen Entwicklungen in den sozialistischen Laendern noch verschaerfen werden. Potente Investoren draengen in Spitzenstandorte der Staedte, oft mit fertigen Planunterlagen und der Spekulation, dass die neuaufgeflammte Staedtekonkurrenz die Kommunalpolitiker geradezu zur Zustimmung zwingt. Wieder einmal droht die Gefahr, dass die Planer zusehen muessen, wie die Geschaefte um den staedtischen Boden und seine Nutzung ueber ihre Koepfe hinweg gemacht werden und sie oft genug nur noch sanktionieren koennen, was ohnehin schon politisch tolerierte, oft genug selbst erwuenschte Realitaet geworden ist. Konfrontiert mit diesen Problemen zeigt sich als ein Defizit der Stadterneuerungsverfahren, wie sie in den 70er Jahren entwickelt sind, die nahezu ausschliessliche Orientierung auf Fragen des Quartiers selbst.

Stadterneuerung muss sich heute erneut der Frage staedtischer Umstrukturierung und grossraeumiger Planung stellen. Das heisst aber nicht, dass die Erkenntnisse der 70er Jahre, der sorgfaeltige Umgang mit den Quartieren und die Entwicklung eines "buttom-up"-Planungsverfahrens ad acta gelegt werden muessen. Die Aufgabe heisst vielmehr: Die Strategien der 90er Jahre muessen auf die Entwicklung von Planungsverfahren gerichtet sein, mit denen gesamtstaedtische Fragestellungen an die von Quartieren gekoppelt werden koennen.

Daraus folgt, dass eine deutliche stadtplanerische Einbettung der Aktivitaeten der Projektgruppen vor Ort ein Essential erster Orndung ist. Viele Probleme sind nur auf gesamtstaedtischer Ebene anzupacken und beduerfen der Erarbeitung stadtplanerischer Konzepte, die aber ihrerseits nur im Dialog mit der Quartiersebene erarbeitet werden koennen. Die Projektgruppe hat dann die Aufgabe eines Gespraechspartners und eines Praezisionsinstruments: Sie ist der lokale Planungsapparat vor Ort, in dem die Kenntnis ueber die Potenzen und sinnvollen Loesungen des Gebiets zusammenfliessen; sie ist die Stelle, in der auf unterster Ebene Konsenz hergestellt werden kann ueber Ziele und ueber effiziente Vorgehenssweisen.

Wie dies anzugehen waere, daran doktert man zur Zeit in den niederlaendischen Gemeinden mit der Energie und Verbissenheit herum. Noch ist die Kontur zu undeutlich und sind die Erfahrungen zu jung, um hierueber zu berichten. Aber zumindest laesst sich eine eigentlich selbstverstaendliche Spielregel formulieren, die lediglich aufgrund der Abwesenheit oekonomischen und raeumlichen Veraenderungsdrucks in der Stagnationsphase der 70er Jahre in den Hintergrund geraten war:

Formulierung von Erneuerungsplaenen aus der Interaktion zwischen staedtebaulicher Leitplanung und Quartiersplanung.

Abschliessend noch einige Hinweise auf als naechstes anstehende Aufgaben:

Mit dem ersten Hinweis moechte ich direkt anschliessen an unsere letztgenannte "Spielregel". Ich habe die stadtplanerische Einbettung der Erneuerungsplaene eine Selbstverstaendlichkeit genannt, und in der Tat waren ja auch die allerersten Plaene, die damals noch Sanierungsplaene hiessen, aus einer staedtischen Gesamtplanung entwickelt. Es genuegt jedoch nicht, einfach einen Faden wieder aufzunehmen. Inzwischen sind zwanzig wichtige Jahre vergangen, in denen die Buerger gelernt haben, mitzudenken und mitzureden bei Fragen der Gestaltung und des Umbaus ihrer Stadt. Beteiligungsverfahren sind entwickelt fuer die Quartiersplanung, noch rudimentaer nur fuer die Stadtplanung. Hier gilt es zu experimentieren mit Beteiligungsformen, die sicher nicht dieselben sein koennen wie die auf Stadtteilebene, sich aber auch nicht in formalen Anhoerungsverfahren erschoepfen duerfen. Denn will man den Buergern gesamtstadtische Ueberlegungen verstaendlich machen, sodass sie diese auf den ihnen naheliegenden Planungsebene, der Quartiersebene, mit in ihre Abwaegung einbeziehen koennen, dann darf man sie nicht mit einem fertigen Ergebnis der uebergeordneten Planung konfrontieren.

Einen weiteren Punkt habe ich oben bereits angedeutet.Die Aufgabenstellung fuer die Stadterneuerung hat sich verschoben.

Die Probleme der Stadtquartiere sind andere geworden; sie fallen auseinander in solche, die durch starken Investitionsdruck auf ein Gebiet hervorrufen sind, und in solche, die durch beschleunigte Degradationsprozesse entstanden sind. Zum Teil betrifft dies unterschiedliche Gebiete, zum Teil spielt es sich aber auch innerhalb ein und desselben Gebiets ab.

Stadterneuerungsmassnahmen muessen daher staerker als in der Vergangenheit steuernd, auch explicit gegensteuernd, auftreten. Um dies zu koennen, beduerfen sie der Einbettung in uebergeordnete Plaene (wie Flaechnnutzungsplan, Strukturplan oder wie diese Planfiguren in den verschiedenen Laendern auch heissen moegen) und muessen ausgearbeitet sein in rechtsverbindlichen Planfiguren (wie Bebauungsplan, Bestemmingsplan). Und sie beduerfen eines breiten politischen Konsenses in der staedtischen Oeffentlichkeit. Oeffentlichkeitsarbeit in den Medien, Anhoerungs- und Beteiligungsverfahren, einmuendend in rechtswirksame Plaene, abgestimmt mit den sektoralen Planungen sind unerlaessliche Voraussetzung, um dem Druck von Partikularinteressen, dem auch Politiker ausgesetzt sind, pari bieten zu koennen.

Fuer die bereits erneuerten Gebiete erhebt sich die Frage der Fortfuehrung einer staendigen planerischen Betreuung; es genuegt nicht, einmal erneuerte Gebiete in eine Unabhaengigkeit zu entlassen, in der ihnen keine Hilfestellung geboten wird bei der Bewaeltigung von all den sozialen, baulichen und funktionellen Problemen, mit denen heute, in einer Zeit grosser Veraenderungsdynamik der staedtische Alltag unaufhoerlich belastet ist.

Hier gilt es, organisatorische Strukturen der bewohnerorientierten Wohnungsverwaltung und der staendigen professionellen Gebietsbetreuung bereit zu stellen. Die Gemeinden Rotterdam und Den Haag sind seit einigen Jahren damit beschaeftigt, ihre Stadtserneuerungsprojektgruppen um zu bauen in Betreuungsprojektgruppen. Wesentlich hierbei ist, die verschiedenen sozialen Betreuungsinstitutionen und die Institutionen von Wohnungsverwaltung und Betreuung der Infrastruktur integral in einer Organisationsform in Kontakt mit einander zu bringen, um das Mass von Abstimmung, das in Stadtserneuerungsprozess erreicht worden ist, zu kontinuieren und weiter aus zu bauen. Ebenso wichtig ist auch die Identifikation der Bewohner mit ihr Gebiet, die im Prozess der Erneuerung (wenn er gut verlaufen ist) gestaerkt worden ist, weiter zu entwickeln und ihnen beim der Verwirklichung ihrer Ideen ueber die weitere Revitalisierung des Gebiets Hilfestellung zu leisten.
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1. Helga Fassbinder, Modelle der Stadterneuerung in den Niederlanden, Institut fuer Hoeheren Studien Wien, Wien, 1981.

2. eine ausfuehrliche Darstellung s. das von H.Fassbinder /J.Rosemann zusammengestellte Schwerpunktheft "Rotterdam, ein Modell fuer die Stadterneuerung" Bauwelt 19/1980.

3. s. die 12 Punkte zur Stadterneuerung der IBA Berlin.

4. Eine Uebersicht ueber die in Europa gaengigen Stadter- neuerungsstrategien gibt der Bericht der Arbeitsgruppe "Area based approach to urban renewal" des Economic Council of Europe, The Hague, 1987.

5. H. Fassbinder, E. Fuehr (Hg.) Die Aesthetik der Kuenste Berlin. Materialien 2/85, Berlin 1985.

 

Hier noch einmal zusammengefasst die 'Spielregeln für Stadterneuerer':

• Einrichtung gebietsbezogener, am besten auch im Gebiet stationierter Projektgruppen, die aus allen wichtigen beteiligten Ressorts besetzt sind

• Mitsprache bzw. Miteintscheidung der Bewohner

• differenzierte, objektweise Festlegung der baulichen Eingriffe

• suksessives Verfahren

• Förderungsmöglichkeiten zur Überbrückung von untragbaren finanziellen Belastungen bei finanziell schwachen Bewohnern

• keine Verdrängung von Bewohnern - Bauen auch fuer die Bewohner und Benutzer, die ansässig bleiben wollen

• Erhaltung von Mischstrukturen soweit wie irgend möglich

• Stärkung der wirtschaftlichen Potenz eines Gebiets durch Stuet zungsmassnahmen fuer das ansässige Gewerbe

• Mitsprache und evtl. Mitentscheidungsrecht auch für Gewerbetreibende und Unternehmen

• Konzipierung einer "Integrale Stadterneuerung" als ressort-über greifendes Organisationsziel

• Aufmerksamkeit fuer die stadtgestalterische Seite der Erneuerungsmassnahmen

• eine sorgfältige Auswahl der Architekten nach Gestaltungsvermoegen, Gespühr fürs Vorhandene und der Fähigkeit zum Dialog mit den Bürgern

• Formulierung von Erneuerungsplaenen aus der Interaktion zwischen staedtebaulicher Leitplanung und Quartiersplanung.

Kein absolutes Essential, aber sehr emfehlenswert fuer eine gute Kommunikation zwischen den Betroffenen und den Planern ist:

• die Bereitstellung von professioneller Unterstützung für die betroffenen Bewohner und Gewerbetreibende